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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Einer alten Freundin zum Geburtstage
Ein Jahr, die kurze Spanne Zeit,
Ein kleiner Schritt zum Ziel,
Ist wenig für die Ewigkeit,
Doch für das Leben viel.
Viel - ob man treu, mit regem Sinn
Ein gutes Theil erkor;
Viel - ob man falsch, in trägem Sinn
Die schöne Zeit verlor.
Wer einsam durch das Leben zieht
In mürrisch düsterm Hang,
Nichts Liebes in und um sich sieht:
Dem scheint ein Jahr so lang -
Er ist entfremdet allem Heil,
Das uns das Leben giebt,
Und ungeliebt von Andern, weil
Er Andre auch nicht liebt.
Doch, wer wie sich, auch Andern lebt,
Wie sich, auch Andre liebt:
O, herrlich ist, was der erstrebt,
Und ihm das Leben giebt!
Wer selber froh, macht Andre froh,
Wird nicht der Zeit gewahr;
Ihm scheint das ganze Leben so
Gleichwie ein einzig Jahr.
Und wer so lebt, dem immer jung
Und frisch das Leben blüht -
Viel Blumen der Erinnerung
Durchduften sein Gemüth!
Und wo ein süß Erinnern lebt
In alte Zeit zurück:
Auch Hoffnung fest im Innern lebt
Auf neuer Jahre Glück.
Wer so, wie Du, beim neuen Jahr
Dies von sich sagen mag,
Dem ist der Tag, der ihn gebar,
Ein wahrer Festestag; -
Dem sind die Grüße die man beut,
Kein leeres Formenspiel -
Dem wünscht man Tage so wie heut
Noch recht von Herzen viel!
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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