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Friedrich von Bodenstedt
Aus
der Heimat und Fremde . 1856/1859
Der Fels des Prometheus
Von Kolchis' grünen Ufern kamen wir,
Und steuerten gen Tauriens Gestade...
Schon sind wir nahe dem Prometheusfelsen,
Der seinen Fuß im Schwarzen Meere wäscht.
Das Meer liegt still. Es scheint der Mond so hell,
Wie eine Sonne hinter weißem Schleier.
Zum Sternenhimmel ragen weiße Kuppen,
Hochstrebende, empor, umzackt von dunkeln
Felsblöcken, die aus waldigen Bergen steigen,
Gestützt auf weichgeschwellte Hügelreihn,
Vom Schwarzen Meer verbrämt mit weißem Schaume.
Es gleiten Silberschlangen von den Bergen,
Verschwinden im Gebüsch und hinter Felsen -
Doch immer gleiten neue Schlangen nach,
Und alle schlüpfen dem Verderben zu:
Denn böse Geister hausen in den Wäldern
Und Felsenschluchten, wo hindurch ihr Weg führt -
Dort bäumen sich die Schlangen, spritzen Schaum
Im Kampfe mit den unsichtbaren Geistern,
Und ihre Leiber wachsen in dem Kampf,
Mit ihrer Wuth, zu ungethümer Größe!
Doch alle Bergeskräfte einen sich
Sie zu verderben - Felsenstücke drohen
In jähem Niederfall sie zu zerschmettern;
Hier schlitzen Steine, Dornen ihren Leib auf,
Daß die zerissne Silberhaut in breiten
Und langen Streifen von den Felsen flattert,
Hell glitzernd in dem Strahl des Mondenlichts -
Derweil ihr rieselnd Blut sich in der Schlucht
Ansammelt, dort zum Gießbach schwillt, und heiß
Hinabstürzt in das Meer. Des Pontus Wellen
Zornschäumend wehren sich des Schlangengifts,
Das, wo es hinspritzt, weiße Blasen schlägt -
Und im Verzweiflungskampfe wirft die Brandung
Das Gift zurück, doch immer kehrt es wieder.
Der Schakal wimmert in der dunkeln Schlucht,
Die Frösche quäken zu der Wellen Zürnen,
Das wie vielstimmiger Gesang verhallt.
Mit dem Getös verschwimmt der weiße Schaum
In kleinen, großen, immer größern Kreisen,
Die endlich sich zu blanker Fläche glätten,
Wo nur das Schiff die Silberfurchen zieht,
Und aus der Tiefe aufgescheucht, Delphine,
Kopfüberschlagend kommen und verschwinden;
Und trichterförmig öffnet hinter ihnen
Das Wasser sich, und schließt sich kreisend wieder,
Ein leichtes Schäumen in die Runde werfend.
Hier faltet sich das Meer in leisem Kräuseln,
Und zieht ein blendend feines Silbernetz
Ueber die dunkle Tiefe. Weit umher
Rings Millionen lichte Punkte blitzen
Im Schein des Mondes, - als ob jeder Strahl
Im Meer zu Diamanten sich verwandle.
Dort strecken Felsen lange Schattenarme
In's Wasser hin, - es zittert überall
In ewigem, wunderbaren Farbenwechsel.
Fern steigt ein feines Dampfen aus dem Meer,
Und mondverklärte Nebelschleier schweben,
Den Blick begrenzend, über Berg und Wasser...
Hoch von den Bergeswundern taucht der Blick,
Der staunende, zu Meereswundern nieder,
Um zu den Himmelswundern aufzusteigen,
Die alle sich im Meere wiederspiegeln.
Doch auch die höchste Freude hat ihr Maaß;
Und wie der Gottesmund zum Meere spricht:
"Bis hierher sollst du kommen, und nicht weiter;
Hier soll sich legen deine stolze Flut!"
So steckt er dem Genuß auch seine Grenzen,
Die ungestraft der Mensch nicht überschreitet...
Ich hüllte mich in meinen Mantel ein,
Und ließ noch einmal all die schönen Bilder
In der Erinnerung vorüberziehn:
Von wo der Phasis seine Silberwellen
Durch Kolchis' immergrüne Haine wälzt,
Und von der Argonautenfahrt erzählt,
Von Jason und dem schönen Königskinde -
Bis zum Prometheusfels, der vor mir lag,
Zerklüftet und durchhöhlt, als ob der Geier
Auch seine Brust zernagt in gierigem Fraße.
Es streiten sieben Felsen um die Ehre
Die Qual des Göttersohns genährt zu haben.
Denn wenn sie todt sind, ehrt man große Menschen,
Die man gequält im Leben - bis der Grabstein
Der Mißgunst und dem Haß die Grenze steckte.
Der Wurm hat keine Freude an dem Adler,
Bis er herabstürzt und zur Leiche wird...
Und lange lag ich still in buntem Träumen -
Da stört mich plötzlich Kettenrasseln auf:
Man wirft den Anker aus - mein müdes Auge
Schweift wirr umher, geblendet von dem Glanze;
Verwandelt liegt die Welt - ein Purpurschleier
Webt um des Mondes blasses Geisterlicht;
Es schlüpfen Feuerschlangen von den Bergen;
Der Himmel flammt; die hohen Kuppen glühen;
Das Meer wälzt Feuerwellen, - aus der Bucht
Schallt ein vielstimmiger Gesang, so klangvoll,
Als ob sich all des Ufers Nachtigallen
Zu einem großen Wettgesang vereint; -
Am Felsen lehnt ein riesig Flammenbild...
Was deutet das? fragt' ich erstaunt den Schiffer.
"Das ist der Berggeist, der beim Morgenglühn
Im Feuerkleid am Pontusufer wandelt:
Dann weht kein Lüftchen, ruhig liegt die Welt,
Es schweigt der Schakal in der dunklen Schlucht,
Der Adler schwingt sich auf vom Felsenneste,
Und nur im Lorbeerhain die Zweige klingen."
Das ist kein Adler, der die Flügel hebt,
Ein mächtiger Geier flog vom Felsen auf -
Das sind nicht Nachtigallen, die dort singen:
Okeaniden tauchten aus der Flut,
Und singen ihren Trostgesang dem Dulder.
Sieh dort, am Fels lehnt seine Lichtgestalt...
Das ist Prometheus! rief ich freudig aus,
Als fänd' ich einen alten Freund hier wieder,
Das sind die Felsen wo er angeschmiedet! -
Ein leichter Kahn trug schwankend mich an's Ufer:
Lichtbringer! Göttersohn! - rief ich begeistert -
Ist Deiner Sühne Zeit noch nicht erfüllt?
Erlosch in der jahrtausend langen Qual
Des Gottes Zorn nicht, der Dich hergeschleudert?
Zur rechten Stunde treibt mich mein Geschick
An dieses einsam wüste Felsenufer;
Es ist ein Funke Deines ewigen Lichts
Auch in mein Haupt gefallen, mich erleuchtend,
Und Deine große Qual fühl' ich im Kleinen.
Ich bin gekommen Deinen Bann zu lösen!
Laß diese öde Küste, folge mir,
Mein Schiff liegt dort am Strande, zaudre nicht,
Steig' ein - die alten Götter sind gestürzt,
Ein neu Geschlecht regiert die schöne Erde! -
"Weh', Wehe dem Geschlechte das regiert!
Das ist der Bonzen unheilvoll Geschlecht!
Der Eine schimpft den Andern Thor und Heuchler,
Und umgekehrt: und Alle haben Recht!
Fast däucht es mir, der große Zeus that wohl,
In diese Einsamkeit mich zu verbannen,
Weil ich den dummen Menschen Licht gebracht;
Sie haben es und können doch nicht sehn!
So viele Boten wurden ausgesandt,
Den Sterblichen die Wahrheit zu verkünden,
Doch kehrte Keiner unversehrt zurück;
Gesteinigt wurden sie, verhöhnt, gekreuzigt,
Und wenn ich selber unter Euch erschiene,
Es würde mir nichts Besseres geschehn!
Drum bleib' ich, wo ich bin, denn besser ist's,
Das Haupt vor eines Gottes Zorn zu beugen,
Als vor dem winzigen Geschlecht der Menschen.
Ein großes Unglück trägt der Mensch mit Stolz,
Doch unerträglich ist das kleine Elend!" -
So sprach Prometheus. Lange stand ich sinnend;
Da ward mein Auge plötzlich wie verfinstert,
Und wie ein wilder Traum durchwogt' es mich.
Als ich erwachte, lag ich auf dem Schiffe,
Das durch des Pontus aufgescheuchte Wogen
Nach Jalta's blühendem Gestade fuhr.
Friedrich
von Bodenstedt . 1819 - 1892
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