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Klabund
Irene
oder Die Gesinnung . 2. Auflage 1918
XXII
Herr, ich brenne,
Ich bekenne
Meine Schuld,
Meine tiefe Schuld,
Meine hohe Schuld,
Schuldig bin ich
Jedes Menschen Schuld,
Schuld am Leben bin ich
Und am Tode -
Schuld am Kriege
Und an jedem Greuel.
Aller Menschen Sünden sind wie Speere
Mir in meine Brust gerannt.
Seht, ich bin Sebastian,
Seht, ich bin gekreuziget und singe.
Schuldig bin ich, weil ich duldete.
Seht, es träufelt unter meiner Achsel
Blut vom Speer des starrsten Stolzes.
Aus dem Bauche steigen zischend
Schlangen gleich
Und Echsen
Die Gedärme, blaue Boten
Fauler Völlerei.
Meine Augen
Hassen Dunkel,
Meine Ohren
Fürchten feige
Glockengitter
Und des vielen
Todes graue Schweigsamkeit.
Ach, ich bin mit Wollust wie mit
Feuchtem grünen Moos gefüllt.
Wollust blüht aus meinen Haaren,
Wollust weint aus meinen Tränen,
Wollust grölt aus meinem Maule,
Stinkt im Schweiße
Meiner Füße,
Meiner müden Wanderfüße,
Wollust tanzt um meine Schenkel,
Treibt gleich einer Kathedrale
Türme
In des Himmels roten Schoß.
Jede Jungfrau,
Zahm und züchtig,
Geht geschändet,
Taumelt lüstern
In den Weiher Hurerei.
Jener Wüstling,
Der ein Kind verführte,
Knabenhaftes Kind von sieben Jahren,
Sprang aus meinem unheilvollen Haupt.
Menschen hungern,
Weil ich's widrig will.
Ich erschuf die Schwindsucht
Eiterschäumend,
Und die Wunde tönt in meiner Brust.
Da ich Kind schon
Log ich lästig
Mir zum Vorteil,
Daß ich spiele
Drachen steigen,
Reifen rennen,
Während meine Mutter starb.
Herr, ich habe schwer gesündigt,
Stahl dem Gatten
Gut und Gattin,
Kind und Treue,
Wert und Sein.
Herr, ich fluchte
Meinem Bruder,
Weil er wagte
Meine Tat.
Herr ich brenne,
Ich bekenne
Meine grenzenlose Schuld.
Klabund
. 1890 - 1928
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