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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Klabund
Dreiklang . 1. Auflage 1920



I. Ich

I

Der Mann mit der schwarzen Maske erhebt seine Stimme und schreit.
Er sei genannt Namenlos und Nirgendwer.
Er hat abgetan seine eigene Tat, zu tun die Tat aller.
Nicht will er Wirkung seines dunklen Hauptes oder seines räudigen Ruhmes.
Nicht Eigen-liebe, sondern eigentliche Liebe.
Er lacht - lautlos.
Er liebt - brautlos.
Er handelt - machtlos.
Er wandelt - nachtlos.


II

Zu Füssen des Mannes mit der schwarzen Maske liegt der schwarze Hund.
Der bellt an: alle, welche kommen des Weges mit den strahlenden Gesichtern gewissen-loser Seligkeit. Denn grau ist die Farbe der Verschmitzten, der ruhelosen Rebellen des Herzens.
Schwarz ist die Fahne der schweren Schwärmer.
Sie wollen nichts wissen von der Weiss-heit der Fröhlichkeit, dem Gezwitscher des Mondes und dem Gebrüll des goldenen Drachens.


III

Ihr Menschen, spricht der Mann mit der schwarzen Maske, es sind welche unter euch, die sind
euch gesetzt zu Martern und Mördern. Sie haben goldne Schnüre an den Jacken - die sind gedreht aus euren Gedärmen und vergoldet.
Und es sind andere unter euch, spricht der Namenlose, denen schwillt Bauch und Geldsack. Ihr Blick ist eine Zahl, ihr Wunsch ist eine Zahl; sie reden und träumen und schweigen in Zahlen. Sie hängen Nullen an euch, die ihr seid eine Eins oder eine Zwei - und siehe, ihr seid Millionen. Ihr spaltet Holz und Köpfe für sie, sie kaufen und verkaufen euch - aus eurer Trägheit, ihr trägen Tiere, ihr Tragtiere - die ihr schleppt ihre Geldsäcke, ihre fetten Weiber und ihre weinerlichen Kinder.
Der, welcher nicht schläft, spricht:
Wacht auf!
Eure Nachtwache ist ihr Tagende!
Der, welcher den dunklen Spass der schwarzen Brüder nicht verlernt hat, ruft:
Lacht auf!
Euer Gelächter wird sie erschüttern, die auf eurem Rücken reiten - sie werden fallen, und ihr werdet sie zerstampfen mit dem Fuss der Verfehmten.


IV

Gerufen sind vom Manne mit der schwarzen Maske: . die während vieler Jahre schmerzlich Maskierten. Die hinter ihrer Maske die Wahrheit trugen als stille Flamme ihrer Stirne und als helle Hoffnung ihres Herzens.
Mitternacht, die Stunde der Demaskierung, wird bald mit harten Schlägen schlagen.
Gerufen sind, welche langsam erwachten aus den verfaulten Särgen ihres lebendigen Begrabenseins - und fühlen nun wieder ihre Glieder, ihren Glauben, ihre Fäuste - und die Kraft ihrer Schwäche - die Macht ihrer Un-tat.
Denn wir wollen nicht sein wie die Mächtigen - unsere Mission ist die Mission der Hilflosen, der Macht-losen, der Schwachen, der Armen, der Verkrüppelten und Gepeitschten, der Getretenen und Gefolterten, der vom Gewissen Zernagten, der von der Säge des Zwiespalts und des Zweifels Zersägten.
Die Gewissen - haben kein Gewissen.
Die Hochmütigen - keinen hohen Mut.
Wir wollen nicht tun die Tat der tausend Mächtigen.
Wir wollen tun die Un-tat.
Handeln - ohne Handlung.
Nicht töten - sondern zeugen!


V

Der Namenlose sprach:
Ich habe gemordet, als ich den Salamander zertrat und der harmlosen Natter mit einem Stein den kleinen Kopf zerquetschte.
Jetzt freilich ist es leicht, dies zu sagen, zu gestehen, geständig zu sein. Aber es ist schwer, geständig zu sein, ein Beständiger.
Was nützt es, ein Marmordenkmal zu errichten und mit goldenen Lettern darauf zu schreiben: Hier starb meine kleine Schwester, die Natter, durch meine Hand. Oder: Hier ruht mein Bruder, der Salamander,
gemordet durch mich.
Nie mehr wird die Natter schillernd auf besonnter Mauer schweben, nie mehr der Salamander in den duftenden Regennächten nach Liebe schleichen.
Ein anderes ist es um die Tat. Ein anderes um das Danachdenken.
Kein guter Gedanke erweckt den Salamander zum Leben und keine trübe Träne die braune Natter.
Getan ist getan.
Das merkt ihr an den Taten der Tätigen, dem Heldentum der goldgeschnürten Heldischen.
Sie haben sich überfressen an Machtgier.
Und sie schlucken vorn noch in ihr unersättliches Maul - während schon die untere Hälfte ihrer Leiber verweset.


VI

Der Namenlose spricht:
Ich geissle mich des Morgens und Abends, und das
Blut tropft von meiner Schulter.
Ach! Ich schäme mich meiner Scham (dass ich mich
verkroch vor dem Wüten der Wütenden.)
Ich weiss, ich habe mich gewandelt: von Mond zu
Mond, ja oft von Sonne schon zu Sonne.
Hiess gestern: Eigen-sinn.
Heute: Geigen-sinn.
Hiess gestern: Mord und Röcheln.
Heute: Lord und Lächeln.
Immer ein Anderer, immer ein Wanderer, wie elend,
wie schwelend: das Herz im Rauch-fang, im Pul verdampf. Im Hauch-fang der Thymianblüte.
Der Namenlose spricht:
Werde Stein! Du Weicher! Es wird das Wasser kommen, dich zu verschlingen, das Feuer, dich zu Asche zu brennen: es wird nichts an dir bleiben als Wassertropfen oder Russ.
Aber dein Kern, steinern, er bleibt: wie der Kern einer Kirsche: Du wirst aus allen Mäulern der Naschgierigen gespien.


VII

Der Mann mit der schwarzen Maske zog seine Maske herab: da ward das zerrissene, zerfetzte Gesicht eines Aussätzigen sichtbar.
Fasset Vertrauen, ihr Armen, zu einem, der ärmer ist, denn ihr!
Dass ihr nicht immer wart der Meinung der Beständigen, der Stein- und Stammenschen: dess sei kein Hader. Dass ihr erst wurdet unter ewig neu quellenden Qualen zu Brüdern vom Bunde des roten Herzens: Kein Vorwurf sei euch gesagt, keine üble Nachrede.
Er, der selber schwankte, weiss: wie leicht sichs schwankt in den Lüften: seht die Blätter. Und die Vögel im Sturm.
Ist nicht im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Busse tut, als über tausend Gerechte?
Denn blieben die tausend Gerechten unter sich - was wäre der Himmel? - Nur tausend Gerechte in alle Ewigkeit. Aus den Sündern, die bekehrt wurden, wollen wir das
Himmelreich bauen, denn ihrer sind Millionen und mehr.


VIII

Der Namenlose spricht:
Ich danke dir, Gott, dass du mir meine Feinde gabst: unzählige wie Tropfenfall im Landregen: gute und böse.
Die guten Feinde: glauben an mich. Sie sind verschwärmt um mich wie Nachtfalter.
Aber die Bösen: sind die Hummeln.
Sie brummen und stechen.
Die bösen Feinde nennen mich: Heuchler, Lügner, Fälscher, Feigling.
Die guten Feinde nennen mich: schwacher Bruder, armer Mensch, Strauchelnder, Stolpernder.
Aber Dank beiden: den guten wie den bösen. Denn sie haben mir den Blick geschärft - für mich. Und die Waffen - gegen sie.


  Klabund . 1890 - 1928






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