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Gedichte, Lyrik, Poesie

Hesperien
162 Bücher



Theodor Däubler
Hesperien . 2. Auflage 1918



II

Pastorale

ITALIEN, große Wolken warten auf dem Meere,
Um dir zu Füßen, wildumblitzt, den Herbst zu legen.
Noch ist der Wind zu schwach für solche Regenschwere:
Doch plötzlich wird ein Guß durch heiße Schluchten fegen.

Die roten Häuser tragen goldne Welschkornpanzer.
Die Lauben gleichen blonden Sommerhorizonten.
Das abgemähte Berggelände ist ein ganzer
Damastteppich, auf dem sich bunte Bonzen sonnten.

Durch viele Täler zogen Regenprozessionen.
Im Golde zirpt es, und das Blau durchlechzen Unken,
Auf großen Wolken sieht man den Oktober thronen:
Wann schickt er seinen fürstlichen Entscheidungsfunken?

Man pflückt die blauen Trauben in der Laubenschwüle,
Schon füllen sich die schweren Körbe reifer Gänge,
An jedem Wasserfall berauscht sich eine Mühle:
Es hört der Bach der Wäscherinnen Liebessänge.

Man holt die blaue Eierfrucht aus brauner Erde.
Das heitre Feigenklauben geht voll Lust vonstatten,
Karuben stehen da mit schenkender Gebärde:
Die Lichter sind Opale, und es perlt der Schatten.

Nun steigen Wolkenherden aus den Felsenschluchten,
Auf hoher See erscheinen plötzlich Nebelschwäne,
Da ängstigt sich das zarte Blau in goldnen Buchten,
Und Silberwarnungen umglitzern still die Kähne.

Auf einmal hat der finstre Sturm emporgeleuchtet,
Der Wind verbohrt sich in den Dunst und schürt die Blitze:
Was kommt? Die Steine haben sich aus Schreck befeuchtet:
Zerflattert sind die lila Fahnen langer Hitze.

Die Feuerwolke darf Vulkane überragen;
Doch kann der Wind ihr jedes Blitzbündel entwinden:
Gewitterstirnen werden auf die Felsen schlagen:
Die See will schauderreich ein gutes Jahr entbinden.


Ein schwerer Wasservorhang raschelt uns entgegen.
Da retten sich die Winzer jauchzend vor den Fluten.
In Rudeln läuft man fort: der vielbegehrte Regen
Verfolgt die Pärchen noch mit Silberruten.

Das ist ein fabelhafter Tanz von Flammenschlangen:
Sie stürzen sich aus Himmelshöhen in die Fluten.
Das Schauspiel hatte mit Applausen angefangen,
Denn rhythmisch kommen, springen diese Tummelgluten.

Die Wettervögel wollen sich den Beifall rauben.
Der Hagelhabicht folgt seinem Gewittervetter:
Auf einmal hören wir den Flug von großen Tauben,
Da fallen Hageleier schwer auf Kupferblätter.

Es hat der Hagel seinen Strich: er ist vorüber.
Jetzt flicht die Sonne Silbermuster mit dem Regen.
Der Himmel goldet auf, die Täler werden trüber:
Des Wetters Wildheit muß sich gegen Abend legen.

Die Menschen warten hinter schnellen Zickzackgittern,
Bis sanft die Purpurstunde den Erguß beschwichtigt.
Dann werden aber plötzlich tausend Hände zittern:
Der Bauer tritt hinaus, daß er den Herbst besichtigt.

Es soll der Silbervorhang auseinandergleiten.
Schon beugt das Land die rote Schönheit hin zum Meere,
Die Friedensfürsten können würdig niederschreiten:
Es ist, als ob das goldne Alter wiederkehre.

Verschwundne Paare treten aus den freien Grotten:
Da fallen Diamanten von den Bäumen nieder.
Sie bleiben einsam, denn der Nachbar könnte spotten,
Und vor dem Abendabschied senken sich die Lider.

Die Ruhe hat die ganze Landschaft eingenommen.
Nun läutern sich des Herbstes irdische Ergüsse.
Allein die Brandung ist noch nicht zu sich gekommen,
Und Eukalyptusschleppen rauschen um die Flüsse.


Ein ganzes Land mit Hängegärten und Terrassen,
Den grünen Polsterstufen für die Riesen,
Gebirgen - Pyramiden über frühen Rassen -,
Ein Schluchtenlabyrinth mit Zufallsparadiesen,
Der Boden, wo die Völker ihre Herkunft fassen,
Wird hoch belobt. Es sei ihm Dankbarkeit erwiesen!
Im Osten sind wir alle gotterfüllt gewesen:
Wir kamen her und wurden eigenmächtge Wesen.

Die Berge stehen hier in demutvoller Würde:
Sie werden schon von Fluchtgebirgen überflogen,
Sie ruhen aus von ihrer sommerlichen Bürde,
Doch meistens überblauen sie die lauen Wogen.
Mein Land, das gern zu stolzen Wüsteneien würde,
Sei wieder durch den Herbst zu Huld und Pracht bewogen!
Die gleiche Ruhe hat der Bauer bei den Grotten:
Er hört Gespenster unsre Eitelkeit verspotten.

Die Bäume überkommt ein wundervolles Hoffen:
Es kann dir jede Eiche ein Erlebnis werden.
Ihr alterhabnes Wesen steht uns plötzlich offen:
Es gibt eine bescheidne Wirklichkeit auf Erden!
Du bist zuerst durch Wucht der Tropfenpracht betroffen,
Doch fasse dich: du schaust der Schöpfung Schenkgebärden!
Ein Bauer tritt hervor und grüßt in dir die Fremde,
Dann reicht er Trauben, übersternt vom Regenhemde.

Die See ist wieder gut und nach dem Sturm verlegen:
Ein Wahnsinnsmeer ist übers Meer hinweggegangen.
Wie konnten sich die blauen Fluten so erregen
Und wilderpicht nach den verschenkten Wolken langen?
Im Felsgewirr versteckt sich jetzt der letzte Regen,
Es scheint ihm, trotz des Blitzes, vor der See zu bangen:
Der Abend kann Delfine in die Buchten laden,
Damit die Knaben mit den großen Fischen baden.

Der frohe Herbsttag ist nun sanft dahin geschmolzen.
Die Sonne ging: von selbst in Glut und Flut verflüchtigt.
Die Purpurstunde schwingt sich in den Schutz der Stolzen,
Die Kühle durch den raschen Rücktritt ist berüchtigt.
Das Blau des Meilerrauches, wo die Köhler holzen,
Verwirklicht ein Gespenst, das müde Säumer züchtigt.
Der gelbe Abendschreck verschwand hinter den Bergen,
Doch kann sich nie im Tal die Fieberfurcht verbergen.

Das letzte Gold bekennt sich zu den Nachtpropheten,
Den sichern Priestersternen überm Dämmerbangen.
Die Wolken knien vielleicht und denken fromm ans Beten.
Nun ist des Herbstes seltne Tulpe aufgegangen.
Es ist ja schon, als ob sich Feuerschwingen drehten:
Die Nacht wird abermals mit raschem Glast verhangen.
Wie kurz! Der schöne Aufruhr bricht bereits zusammen:
Wer weiß, woher die Überraschungsgluten stammen!

Wie sich die Abende in unserm Fühlen mehren;
Wir sollen Sonnenuntergänge oft erleben.
Warum der Seele ihre Abschiedsqual verwehren:
Wir können uns aus Weltverlassenheit erheben!
Wir dürfen nur den Schöpfungsmorgen nicht versehren,
Dann mag die reinste Tat mit unserm Ruf verschweben:
Wir haben uns aus Gottes voller Hand bekommen,
Und dennoch findet dich der eigne Tod beklommen!

Empor! Erwachen wir, die Sterne wollen scheinen!
Sie bitten uns, wir mögen ihren Glanz erklären.
Die Sterne können lächeln, Sterne können weinen,
Die Sterne sind im Auge, Sterne werden Zähren:
Der Menschenfriede kam, die Himmel zu vereinen:
Es trägt die Seelensee geheime Geisterfähren.
Wir sollen fort und fort an ewge Sterne glauben,
Sonst kommt der Himmelherbst, dann fallen Sternentrauben.

In alten Lauben glühen sanftverhüllte Lichter.
Sie hängen bunt herab, vermischt unter die Trauben.
Ein stiller Tisch versammelt fröhliche Gesichter,
Und Kinderhändchen fangen an, das Obst zu klauben.
Das Mahl ist karg: doch sonst vereint man sich noch schlichter.
Das ist ein Fest! Die alten Frauen tragen Hauben.
Die Sterne sehn durch Licht und Laub vergnügt herunter:
Die Leute fühlen das und bleiben lange munter.

Das Meer geht immer hoch und stürzt sich noch in Schluchten.
So können uns die Sterne keinen Segen spenden.
Die Boote warten in den aufgebrachten Buchten:
Die Nacht muß ihre Weisungen umsonst verschwenden.
So hört doch, ferne Stürme unterirdisch wuchten:
Der Große Bär darf keine Segel heimwärts wenden.
Die Sterne müssen ewig um den Frieden ringen,
Die große Stille werden erst die Menschen bringen.


Bevor das Morgengold zum letzten Sterne leuchtet,
Hat sich das gelbe Land mit blauem Tau befeuchtet.
Die Wachteln fangen an auf kühler Au zu schlagen:
In allen Wesen darf es tagen, darf es tagen.

Ein Reiter blaut allein heran unter den Lauben,
Kein Schatten folgt ihm, und er kommt, ohne zu stauben.
Nun wiehert schon das Roß. Es tritt mit ihm zutage,
Dann tränkt es sich aus einem einstgen Sarkophage.

Und einsam trabt der Reiter weiter zwischen Spinnen,
Die zart betaut ein leises Flitterspiel beginnen.
Denn Spinnennetze übernetzten sich mit Rauten,
Bevor die Himmelsdiademe blau verblauten.

So ist die Nacht mit ihren Wundern heimgegangen.
Ihr Kind, der Tag, fühlt noch der Mutter stummes Bangen.
Die Mondperle hat ihm den Tau zurückgelassen,
Und Glitzerspinnen schenkten Sterne beim Erblassen.

In allen Waldesstimmen werden Sterne rege.
Im Lenz belauschte ich den Himmel im Gehege:
Den Sirius hörte ich zu Taubeginn verlauten,
Als Nachtigallenklänge ihrem Blau vertrauten.

Im Herbst zerperlen alle herrlichen Gesänge:
Sie bringen uns den Sang der eisgen Nachtgehänge.
Ihr Leid entführt uns in die letzten Glitzerwelten,
In Schauer, wo die besten Sehnsuchten zerschellten.

Die Sonne aber kann allein der Mensch verkünden.
Wir müssen selber über uns den Tag entzünden!
Ihr könnt am Morgen Männer hoch zu Pferde treffen,
Matrosen, die auf ihrem Schiff das Dunkel reffen.

Aus allen Schluchten kommt der Werktag angeritten,
Die Bauern tragen ihn empor in alten Sitten.
Aus allen Buchten wollen volle Boote segeln,
Dem Meere bringen sie die Schwermut ernster Regeln.


Nun singe ich den Sang der schönen Lauben,
Den Myrtenbäumen mit den zarten Morgenhauben:
Orangen prangen da von Zitterlicht umsponnen,
Zitronen perlen leicht in Diamantenwonnen.

Von jedem Blatte schimmern noch die guten Sterne.
Dann tropfen Knospen auf und gleichen schon dem Kerne,
Orangenüberschwänge blühen, duften, golden,
Der Morgen schlingt sich groß empor mit Sonnendolden.

Wie gut wird jeder Wunsch zur frohen Kinderstunde!
Die Blättchen lächeln wie aus einem frischen Munde,
Ein Baum bekommt auf einmal seine tausend Zungen:
Bald sei der Tag vom ganzen Wald emporgesungen!

Der Mittag wird sich über alle Wolken recken,
Die Sonne noch einmal den vollen Herbst verstecken.
Dann muß der Wind der Nacht entgegen wallen,
Die Blätter sollen abends von den Ästen fallen.

Wir wollen froh dem Kommenden entgegen singen:
Ein großes Jahr vollendet sich in tausend Dingen.
Nun staut sich, taut die gute Freudigkeit in Trauben,
Und goldne Sonnenruhe blaut auf roten Lauben.

Orangenbäume sammeln Sonnenuntergänge,
Die klarsten reifen dann im funkelnden Gedränge;
Wie Sterne gleich den Sommerabenden entsteigen,
So dürfen Blüten sich gar bald um Früchte zeigen.

Die gelben Flüsse werden schwer herniederfließen,
Aus grüner Mündung sich ins dunkle Blau ergießen,
Auf goldnen Furchen braune Boote zittern,
Mit schnellen Segeln nach dem nahen Winde wittern.

In meinem Sange geht das ganze Jahr zu Ende.
Die Welt erkennt sich abermals an einer Wende:
Wir können einen blauen Augenblick erschauen,
Dann müssen wir uns selbst, uns ganz allein vertrauen.


  Theodor Däubler . 1876 - 1934






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