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Robert Eduard Prutz
Gedichte
. 3. Auflage 1847
Jahrestag
1840.
An diesem Tag, der dich zuerst dem Leben,
Der Liebe dann und meinem Glück gebar,
Heut welche Geister fühl' ich mich umschweben
In luftbeseelter, unsichtbarer Schaar?
Ein Echo hör' ich in den Zweigen beben,
Das tönt so süß, das lockt so
wunderbar,
Und singt und klingt und flüstert durch den Garten,
Wo meine Küsse wieder dich erwarten.
O komm' herab! Es ist dieselbe Stelle,
An diesem Ort einst saßen ich und du:
Wie damals braust fernher des Stromes Welle
Und wiegt das Herz in träumerische Ruh:
Wie damals nickt der redliche Geselle,
Der alte Nußbaum, seinen Gruß mir zu:
Jetzt nahst auch du, du Lieblichste der Bräute,
Und o, das Damals wandelt sich in Heute!
Ein Jahr verrann! - Verronnen, nicht verschwunden,
Ist dieses Jahres sel'ge Maienzeit!
Noch leben sie, die wonnevollen Stunden,
Noch ihr Gedächtniß macht das Herz mir weit,
Da dich zuerst mein kühner Arm umwunden,
Da meinen Mund dein erster Kuß geweiht -
Und nur, die doch dein Auge mußte nässen,
Die Thräne nur, nichts weiter, sei vergessen.
So bist du mein! So wirst du mir gehören,
Stern meiner Nächte, meiner Seele Licht!
Wie auch der Zeiten Fluth sich mag empören,
An unsrer Herzen Eiland schwillt sie nicht:
Du bleibst ja mein! Das klingt in tausend Chören,
Das sagt das Auge, das durch Thränen spricht:
"Denn wie nun fallen unsers Lebens Loose,
"Du bist nun mein, bleibst einzig meine
Rose!"
Robert
Eduard Prutz . 1816 - 1872
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