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Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Eine Locke

's war Mitternacht: früh Morgens sollt' ich scheiden,
    Wir saßen stumm, ein träumerisches Paar;
Von ihrem Haupt ein Löckchen wollt' ich schneiden,
    Sie wehrte nicht, sie löste selbst das Haar.
Da schlug mein Herz, der blöde Wunsch ward freier,
    In tausend Küssen kühlt' ich meine Gluth,
Und über uns, ein süß geheimer Schleier,
    Floß ihrer Locken dunkelbraune Fluth.

Wie lang doch ist es, seit ich das erfahren?
    Ich sinne nach, und dennoch find' ich's kaum;
Hätt' ich die Locke nicht von ihren Haaren,
    Ich meinte wohl, das Alles wär' ein Traum.
Denn für das Haar, das ich ihr schnitt vom Haupte,
    Schnitt sie der Liebe goldnes Band entzwei,
Und ach! sie wußte, daß, was sie mir raubte,
    Kein Härchen nur, daß es mein Leben sei.

So schieden wir! Ich sah sie nimmer wieder,
    Als nur im Traum; sie, mein' ich, sah mich nie:
Vergessenheit sank auf mein Antlitz nieder,
    Der bleichen Stirn warum gedächte sie?
Die Locke nur, sie hat mir bleiben müssen,
    Ich trug sie treu - und schau nur her! mir däucht,
Als wäre sie noch warm von unsern Küssen,
    Als wär' sie noch von unsern Thränen feucht!

Ob wohl noch heut, wie tausend junge Schlangen,
    So mild, so braun, wie eine Sommernacht,
Der stolzen Frau um Hals und Stirn und Wangen
    Herniederfließt der Locken weiche Pracht?
Und wer wohl heut mit übermüth'gem Finger,
    Wie ich einst that, in diesen Locken wühlt,
Und sich, wie ich, dabei um nichts geringer,
    Als wie ein König beider Indien fühlt?

Und horch! ich hör's wie Geisterstimme säuseln:
    's kommt eine Zeit, sie kommt, du stolze Frau!
Da wird dein Haar sich minder üppig kräuseln,
    Die braune Locke, glaub' mir, sie wird grau!
Du wirst umsonst die schlanken Arme breiten
    Nach einem Herzen, dich zu wärmen dran:
Kalt wird die Welt an dir vorüberschreiten -
    O nicht mein Bild, nicht meines, schaue dann!

Vergiß mich ganz! und sei der ernste Schnitter
    Vor Vielen dir mit einem Lächeln hold!
Stirb sanft, stirb rasch! Es ist ja schon so bitter,
    Allein zu sterben; das hast du gewollt.
Eins quält mich nur: von deinem Haupt dies Härchen,
    Im Tode selbst ein Balsam bleibt es mir:
Doch dann, o dann von all den goldnen Märchen,
    Sprich! stolze Frau! o sprich, was blieb dann dir?


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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