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Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Der Runenstein

1832.

Mitternacht lag auf den Höhen,
    Süßer Schlaf umfing die Welt;
Aber schnell wie Windeswehen
    Lief ein Mägdlein übers Feld.
Bleiche, nächtliche Gestalten
    Gaukeln rechts und gaukeln links;
Doch sie können sie nicht halten,
    Weiter, rastlos weiter ging's!

Und jetzt steht sie auf dem Berge,
    Lehnt sich an den Runenstein:
"Machet auf, ihr frommen Zwerge,
    Machet auf und laßt mich ein!
Todt sind alle meine Lieben,
    Einsam steht der Aeltern Haus,
Und die rauhen Menschen trieben
    In die Wüste mich hinaus.

Her zu euch komm' ich gegangen,
    Thut mir auf das goldne Thor!
O welch seliges Umfangen
    In der Elfen flücht'gem Chor!
Schau, wie flimmern da die Hallen,
    Thron und Tisch aus Diamant,
Zwischen spiegelnden Krystallen
    Wandelt ihr dort Hand in Hand.

Meint ihr denn, ich darf nicht wissen,
    Wie so schön sich's drunten spielt?
Ach! das Band ist ja zerrissen,
    Das mich noch hier oben hielt:
Keine Sehnsucht soll mich stören
    Nach der Sonne lichtem Schein,
Euch nur will ich angehören,
    Schatten mit dem Schatten sein.

Oder was das Lied gesungen,
    Freundlich tröstendes Gedicht,
Ist's verloren, ist's verklungen,
    Wie ein goldnes Traumgesicht?
Haltet nun, was ihr versprochen,
    An dem Eingang steh' ich hier,
Hört mein Rufen, hört mein Pochen,
    Holde Geister, öffnet mir!"

Und in ungemeßnem Harme
    Stand sie weinend und allein,
Schlang behend die kleinen Arme
    Um den grauen Runenstein:
Horch! da klangen leise Worte,
    Wie wenn Herz zum Herzen spricht:
"Komm herein! Nacht ist die Pforte,
    Aber drinnen wohnt das Licht!" -

Und sie kam! - die Stunden schwanden,
    Prächtig schien das Morgenroth,
Und die ersten Strahlen fanden
    Die verlaßne Kleine todt.
Ob es nun sich aufgeschlossen,
    Ihrer Hoffnung Zauberland?
Glaube mir, sie hat genossen,
    Was kein irdisch Herz empfand.


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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