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Gedichte
162 Bücher



Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Der Räuber

Nach einer Idee des Adam Mickiewicz.

1834.


    Auf dem öden Scheidewege,
Hinterm hohen Crucifixe,
Stand der Räuber listig lauernd,
In der Hand den blanken Säbel,
Und die Büchse scharf geladen.
Denn den Kaufmann wollt' er fangen,
Der mit Geldes reicher Fülle,
Mit Gewändern, edlen Weinen,
Von dem Markte heut zurückkehrt.
Schon hinunter sank die Sonne,
Und der Mond tritt durch die Wolken,
Und der Räuber steht erwartend
Hinterm hohen Crucifixe.

    Horch! da tönts wie Engelstimmen:
Leise Seufzer, laute Bitten
Kommen hell wie Abendglocken
Durch die stille Luft getragen;
Süß mit ungewohnten Tönen
Stiehlt Gebet sich in sein Ohr,
Und er steht und lauscht begierig.

    "O du Schirmvogt der Verlaßnen!
O du Hüter der Verlornen!
Neig', o neig' dein himmlisch Antlitz,
Sonnenhelle, selig lächelnd,
Nieder auf uns arme Kleine!
Breit', o breit' die lieben Arme,
Die du ausgespannt am Kreuze,
Wie zween Flüglein um den Vater,
Daß kein Sturm den Pfad zerwühle,
Daß sein gutes Roß nicht strauchle,
Nicht der Räuber, stumm und lauernd,
In der Waldschlucht ihn entdecke.
O du Schirmvogt der Verlaßnen,
O du Hüter der Verlornen,
Führ' uns heim den guten Vater!" -

    Und der Räuber hört es Alles
Hinterm hohen Crucifixe.

    Drauf der Kleinste, sich bekreuzend,
Fromm die zarten Hände faltend:
"Lieber Christe!" lallt er kindisch:
"Ja, ich weiß, du bist allmächtig,
Sitzend auf des Himmels Thronen
Unter Sternen, glänzend goldnen,
Unter Englein, lieblich lust'gen,
Wie die Amme mir's erzählt hat:
O sei gnädig, lieber Christe!
Gieb den Räubern, den verwegnen,
Brod gieb ihnen, Brod in Fülle,
Daß sie nicht zu plündern brauchen,
Noch zu morden unsern Vater!
Wüßt' ich, wo ein Räuber wäre,
Wollt' ich ihm dies Kettlein geben,
Dieses Kreuz und diesen Gürtel,
Sprechend: Lieber, lieber Räuber!
Nimm hier Kettlein, Kreuz und Gürtel,
Daß du nicht zu plündern brauchest,
Noch zu morden unsern Vater!"

    Und der Räuber hört es Alles
Hinterm hohen Crucifixe.

    Und von ferne hört er's nahen:
Rosse schnauben, Räder rollen,
Langsam greift er nach dem Säbel,
Langsam faßt er nach der Büchse,
Und so steht er lange sinnend
Hinterm hohen Crucifixe.

    Niederknieen noch die Kinder:
"O du Schirmvogt der Verlaßnen!
O du Hüter der Verlornen!
Führ' uns heim den guten Vater!"

    Und der Vater kommt gefahren,
Wohlbehalten, ungefährdet,
Schließt die Kinder an den Busen,
Selig Stammeln, süße Küsse -

    Und kein Räuber ward gesehen!
Nur den blanken Säbel fand man,
Fand die Büchse, scharf geladen,
Hinterm hohen Crucifixe:
Beide waren ihm entsunken.


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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Der Räuber, Robert Eduard Prutz