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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Am Fenster

1833.

Das Mädchen spricht:


1.

's war eine milde Maiennacht:
Ich lag im Fenster spät,
Hab' still geträumt und nachgedacht,
Wie's oft so seltsam geht.

Jüngst stand auch er am Fenster hier,
Da, wo die Rosen blühn,
Und sah mich an und sprach mit mir,
Ach, und ich liebte ihn!

Da ward die holde Dämmerzeit,
Da manche Mitternacht
Mit ihm in süßer Einsamkeit
Geplaudert und gelacht.

Er kaufte mir manch buntes Band
Zu sonntäglicher Zier,
Und schlang es mit verwegner Hand
Um Hals und Nacken mir.

Auch manche Rose schenkt' ich ihm
In süßverliebtem Scherz,
Und er, mit warmem Ungestüm,
Drückt' fester mich ans Herz.

Ach, jene Rosen sind verblüht,
Verblichen ist das Band,
Mein Sehnen nur, mein Seufzen zieht
Ihm nach in's ferne Land.


2.

Mein Liebster zog zum blut'gen Streit
Weit weg von Hof und Haus;
Wohl sah er im Soldatenkleid
Gar schmuck und stattlich aus.

Die Trommel tönte das Dorf entlang,
Sie zogen stolz vorbei,
Und in der Hörner Jubel klang
Wehklagen und Geschrei.

Ich aber lag im Fensterlein,
Hielt grünen Rosmarin,
Und schaute still die blanken Reihn
An mir vorüberziehn.

Und als mein Schatz gegangen kam,
Die Brust zersprang mir schier!
Sah er mich an mit stillem Gram
Und winkt' und nickte mir.

O Gott! wie ward mir da zu Sinn,
Wie ward das Herz mir schwer!
Ein grünes Blatt warf ich ihm hin,
Daß es zum Abschied wär'.

Nicht bücken durft' er sich darnach,
Schnell riß der Zug ihn fort,
Und ach! im Staub zertreten lag,
Das Blättchen und verdorrt.

- Und hat er auch kein Abschiedspfand,
So hat er doch mein Herz,
Das schlägt für ihn in fernem Land
Mit ungestümem Schmerz.


3.

"Ei, über dir verderbte Zeit!
Verderbte böse Welt!
Da sitzt sie gar und macht sich breit,
Und thut, was ihr gefällt!

Läßt immer nur zum Fenster 'naus
Die losen Augen gehn,
Und solltest doch nach Hof und Haus,
Wie and're Dirnen sehn.

Das bischen Jugend im Gesicht,
Das macht dich nicht zur Frau;
Drum nach den Junggesellen nicht,
Nach Küch' und Keller schau."

So spricht die Mutter oft und schmählt,
Ich aber weine still;
Denn ach! sie weiß nicht, was mir fehlt,
Sie weiß nicht, was ich will.

Wohl viele Leute gehn vorbei
Und schaun mir in's Gesicht,
Die Bursche grüßen frank und frei;
Ich aber seh' es nicht.

Ich seh' nur dich, o dich allein,
Den meine Seele liebt,
In Sonnenlicht, in Mondenschein,
Hellglänzend, ungetrübt!

Was will doch all die bunte Lust,
Was will die eitle Welt,
So lang dein Bild in tiefster Brust
Mein Herz gefangen hält!


4.

Wenn sonst der Sonne frühster Strahl
Mir hell ins Fenster schien,
Da nickt' ich ihr wohl tausend Mal:
Mir war als säh ich ihn!

Als weckt' er mich mit holdem Gruß:
Fein Liebchen, säume nicht!
Als fühlt' ich seinen warmen Kuß
Auf Mund und Angesicht!

Und blickt die Sonne jetzt herein,
Wird mir das Herz so schwer;
Sie hat gar einen eignen Schein,
Ich kenne sie nicht mehr.

Aus Nebeln, grau wie Pulverdampf
Scheint sie so purpurroth,
Als käme sie aus blut'gem Kampf,
Aus Schlachtgewühl und Tod.

Dann kehr' ich weinend mich zur Wand,
Und wünsche, daß umher,
Allüberall im weiten Land
Es ewig dunkel wär'.

Denn dunkel ist's ja auch im Grab -
Ach, Liebster, Liebster du!
Und legten sie dich auch hinab
Zur öden Grabesruh?


5.

Wenn ich des Abends oft allein
An meinem Fenster steh',
Und in den rothen Abendschein
Mit feuchtem Auge seh';

Und wenn dann langsam durch die Luft
Die Abendglocke tönt,
Und ferne schon ein blauer Duft
Der Berge Gipfel krönt;

Und aus dem Nebel hell und klar
Des Mondes Sichel tritt
Und schau! die ganze Sternenschaar
Mit feierlichem Schritt:

O dann verstummt das laute Herz,
Mir wird so wohl zu Sinn,
Als legt' ich allen meinen Schmerz
Nun bald auf ewig hin;

Als spräche bald vom Himmel her
Ein Götterwort darein,
Daß nun auf Erden nimmermehr
Soll Krieg und Fehde sein!

Ob's wohl dem König auch so wird,
Dem stolzen Herrn der Welt,
Wenn nun die letzte Kugel schwirrt
Und ach! der Letzte fällt?

Und über Leichen sonder Zahl
Die Abendsonne schwebt,
Und man beim bleichen Mondenstrahl
Viel hundert Gräber gräbt?

O tönte dann vom Himmel her
Es ihm ins Herz hinein,
Daß nun auf Erden nimmermehr
Soll Krieg und Fehde sein!

Und wenn er dann das blut'ge Schwert
Müd' in die Scheide senkt,
Und wenn mein Liebster wiederkehrt,
Gesund und ungekränkt:

O, still, o still! ich fasse nicht
Die wundersame Lust!
O, still, o still! denn schon zerbricht
Die Freude mir die Brust!


6.

Als ich ans Fenster heute Morgen trat,
Erfaßte mich ein wundersames Bangen;
Denn ausgestreut, wie reiche Perlensaat,
Sah ich am Fenster tausend Tropfen hangen.

Die Leute sagen: 's ist der rauhe Wind,
Der hat mit Thau es nächtlich übergossen;
Ich aber glaube, daß es Thränen sind,
Die ach! um mich und ach! um ihn geflossen.


7.

Vor meinem Fenster der Rosenstrauch
Ist lange schon verdorrt;
Für den er blühte, ist ja auch
Schon lange, lange fort.

Und blüht' ich denn nicht auch für ihn,
Für ihn mit Leib und Herz?
Die Rose starb vor Frost dahin,
So sterb' ich wohl vor Schmerz.


8.

Nun kommt die trübe Winterzeit
Mit ihrer langen Qual;
Die Schwalben ziehen auch schon weit,
Weit über Berg und Thal.

Und heute früh ans Fensterlein
Flog eine dicht heran,
Als wollt' sie sagen: laß mich ein!
Und sah mich freundlich an.

Da hab' ich sie zu ihm gesandt
Und ihr mein Leid geklagt,
Und manchen Gruß in fernes Land
Hab' ich ihr angesagt.

Nun kommt sie wohl heut Abend spät,
O ja gewiß, sie muß!
Und sagt, wie's meinem Liebsten geht,
Und bringt mir seinen Gruß.

Und wird's nicht eh', so ist sie doch
Zum Frühling wieder hier,
Und bringt von seinem Grabe noch
Ein dürres Hälmchen mir.


9.

Nun gute Nacht! nun gute Ruh!
Herzliebster, gute Nacht!
Dein Mädchen macht das Fenster zu,
Hat lang an dich gedacht.

Die goldnen Sterne sah ich stehn,
Des Mondes Silberrand:
Der Pfarrer sagt, sie gehn und drehn
Sich rastlos über Land.

Die ihr vom hohen Firmament
Mir Trost und Frieden scheint,
O Sterne, wenn ihr wandern könnt,
Geht, grüßt mir meinen Freund!

Und steht er einsam auf der Wacht,
Der arme, liebe Mann,
O hütet ihr ihn in der Nacht,
Den ich nicht hüten kann!

Und sagt ihm, daß euch zu ihm trieb
Der Liebe Machtgebot,
Und sagt ihm, daß ich treu verblieb
Bis in den bittern Tod.

Nun gute Nacht! nun gute Ruh!
Herzliebster, gute Nacht!
Und mach' auch ich das Fenster zu,
Bleibt Einer doch, der wacht.


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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