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Robert Eduard Prutz
Gedichte
. 3. Auflage 1847
Allerseelentag
1838.
Horch, Glockenklang! Das Meer, als wollt' es lauschen
Der hellen Glöcklein wundervollem Klang,
Ruht athemlos; nur leise Wellen rauschen,
Wie zögernd fast, den öden Strand entlang;
Still ist's umher. Und aus des Dörfleins Mitten
Tönt näher schon andächtiger Gesang,
Und lauter wird's von dichtgedrängten Tritten.
Doch das Gedränge selbst, wie still, wie leise!
Denn die Gemeinde kommt herbei geschritten,
Ein Fest zu feiern nach der Väter Weise:
Den Tag der Seelen wollen sie begehn.
Voran der Priester; Mütter dann und Greise,
Die mühsam nur an schwankem Stabe gehn;
Dann bleiche Jungfraun, Kinder hinterher -
Nur Männer nicht, nicht Knaben sind zu sehn,
Die weilen draußen auf dem wüsten Meer.
Jetzt an des Ufers Rande knien sie nieder,
Kein Mund ist stumm, kein Auge thränenleer:
Ach! ihren Todten gelten diese Lieder!
So viele sind hinaus auf's Meer gezogen,
Und Wen'ge nur, nur Wen'ge kehrten wieder.
Die Andern ruhn im stillen Schooß der Wogen,
Gebrochnen Aug's, (wer schloß es ihnen dort?)
Um irdisch Glück und ewig Heil betrogen;
Denn ungebeichtet riß der Tod sie fort.
Und mächt'ger tönt, laut durch die leisen
Klagen,
Aus Priestermunde das geweihte Wort:
Nicht für die Todten bloß! Noch Manchen tragen
Die falschen Wellen, der vom Lande fuhr,
Gesund und stark, vor wenig kurzen Tagen.
Todt sind die Todten; die Lebend'gen nur,
O schütz' sie, Herr! und wenn die Wogen
gähnen,
Zeig' ihnen heimwärts die ersehnte Spur!
Und wie sie noch am Ufer knien mit Thränen,
Da plötzlich, sieh! am fernen Himmelsrand -
Kein Vogel ist's, was sie zu schauen wähnen,
Ein Segel scheint's, dem Ufer zugewandt!
Das Lied verstummt, der Priester selbst hält ein,
Den Mund geöffnet, mit erhobner Hand -
Und jetzt, o jetzt, im hellen Sonnenschein,
Es ist ein Schiff!! - Und hundert Stimmen fragen:
Wer kehrt zurück? Wer wird der Theure sein?
Wohl Einer gar, den wir als todt beklagen,
Heimkehrend jetzt, ein nicht gehoffter Gast? -
Und langsam schwebt und wie von selbst getragen
Das Schiff heran: schwarz sind Verdeck und Mast,
Die Segel schwarz, die schlaff hernieder hangen,
Wie welke Blätter an verdorrtem Ast.
Da faßt das Volk ein ungeheures Bangen:
Kein Athemzug! die starren Augen brennen,
Als hielt' ein Zauber mächtig sie gefangen.
Und jetzt, o Gott! jetzt kann man sie erkennen!
Schau, Knaben sind's, die längst verloren waren,
Vergessen längst: nur ihre Mütter nennen
Die Namen noch - sind Männer, die vor Jahren
Abschied genommen von dem theuren Strand,
Jünglinge gar, die gestern ausgefahren:
Die wurden wohl am Ufer bald erkannt,
Roth wurden da die Mägdelein, die bleichen,
Und rasch entgegen streckt sich jede Hand! -
Doch auf dem Schiff wie schweigend! Gebt ein Zeichen,
Laßt lust'ge Wimpel flattern zum Signal!
Stumm - Alles stumm -Nichts regt sich: - es sind
Leichen
In diesen Leibern zuckt kein Lebensstrahl!
Meerwasser träuft von Häupten zu den
Füßen,
Der bleiche Mund, verzerrt von Todesqual,
Hat keinen Gruß, das Heimathland zu grüßen;
Weit starrn die Augen in den leeren Raum;
Am Strand die Frau'n, die Kinder selbst, die
süßen,
Das ganze Volk - es scheint, sie sehn es kaum.
Nur wie das Schiff am Priester rauscht vorüber,
Da stöhnen sie, als wär's in schwerem Traum,
Und starren lang, sehnsüchtig lang herüber.
Und langsam schwebt und wie von selbst getragen
Das Schiff dahin, schwebt leise, still vorüber;
Jetzt noch den Bord, die Segel sieht man ragen,
Jetzt noch ein Nebelfleck - und jetzt verschwand's.
Auf stand das Volk, lautlos und ohne Klagen:
Was Keiner aussprach, jede Brust empfand's
In fürchterlich gespensterhaftem Grauen.
Gesenkten Aug's, in sich versunken ganz,
Als scheuten sie, einander anzuschauen,
Ging Jeder aufwärts, wo das Kirchlein steht;
Da knieten sie, die Greise, Kinder, Frauen:
Sie weinten nicht, sie lagen im Gebet.
Robert
Eduard Prutz . 1816 - 1872
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