Prolog zur Eröffnung meiner Vorträge von Shakspeares histor. Dramen

(Wien 1851.)

Ach für die Poesie welch' schlimme Zeit!
Und für Poeten welche traur'ge Tage!
Die Politik macht sich gewaltig breit,
Schier jede Lust verwandelt sie in Klage.
Der Zwiespalt drängt sich auch in's Reich der Kunst,
Zertrennt auch diese friedliche Gemeinde;
Wir treiben Mißbrauch mit der Musen Gunst,
Viel' alte Freunde wandeln sich in Feinde;
Hier Links, dort Rechts, wer hält die wahren Grenzen?
Wo sich ein neues Werk durch trüben Wahn,
Durch bittern Zwist will brechen neue Bahn,
Da fragt man erst: was hat es für Tendenzen?
Ja, selbst an Göthe legten sie die Hand,
Weil man ihn nicht "gesinnungstüchtig" fand.

So blickt der arme Künstler, staunend, stumm,
Bang-forschend blickt er und bang-zweifelnd um:
Wo find ich Zuflucht vor dem wirren Leben?

Glückauf! Im Shakspear' ward sie uns gegeben.
Denn ob der gleich uralter Royalist,
Ob er sogar aristokratisch ist,
Er steht so hoch über der Erde Müh'n,
So mächtig ragt er über alle Zeiten,
Daß die Partei'n um seinen Werth nicht streiten,
Wo weiße Rosen ihm, wo rothe blüh'n.
Er ist der Geist, der über Wässern schwebt;
Und die sich sonst ergrimmte Gegner neunen,
Durch ihn sind sie vereint, weil sie erkennen,
Daß Gottes Macht in ihm allmächtig webt.
Er hat das Buch der Könige aufgeschlagen:
So ist's gewesen in verklung'nen Tagen,
So wird es sein hienieden immerdar,
Weil es nicht anders ist, nicht anders war.

Der Gegenwart und ihren finstern Wettern
Sind wir entfloh'n, in jenem Buch zu blättern,
An seiner Majestät uns zu erbau'n.
Ihr gönntet mir dies ehrende Vertrau'n;
O würd' ich dessen werth! Wär' mir beschieden,
Daß mir aus Eurem Mund' als Lob erklänge:
"Er führt' uns aus der Gegenwart Gedränge,
Auf kurze Stunden in der Dichtung Frieden!"


  Karl von Holtei . 1798 - 1880

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