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Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Prolog zum Stiftungsfeste der großen Liedertafel in Wien

(November 1851.)

Ich hab' einmal auf meinen Wanderungen
In einem blumenbunten Wiesenhain,
Wo Bäume rauschten, wo die Vögel sangen,
Wo auch ein Bächlein quoll, zur Abendzeit,
Die Sonne wollte schlafen geh'n, geruht.
Da saß ein schmuck-blondlockiger Gesell
Auf grünem Hügel, schaute nach den Bäumen
Und horchte auf der Vögel Abendgruß.
Er war so jung, so hübsch, so frisch - und dennoch
Kam er mir traurig vor. Was fehlt dir Bursch?
"Was jene haben!" war die düst're Antwort;
Dies sagend wies er nach den Vögeln d'roben.
Ich wähnte schon, er sehne sich nach Flügeln,
Und wollt' ihm lehrreich auseinander setzen,
Daß die Natur am Besten wissen müsse,
Warum sie uns dergleichen nicht verlieh;
Da lächelt' er wehmüthig: "Um die Schwingen
Beneid' ich jene Sänger nicht!" Um was
Denn sonst? "Je nun, um den Gesang."
"Ich bin, daß du's nur weißt, der deutsche Reim,"
"Ein tücht'ger Kerl von Haus' und von Geburt,"
"Ich sang vor Zeiten meinen Stiefel auch,"
"Sang ohne Ziererei und ohne Schule"
"Die eig'ne Weise zu dem eig'nen Wort."
"Doch jetzt, seitdem aus fernen fremden Landen"
"Die sogenannte Kunst sich eingebürgert,"
"Bin ich verstummt. Ich dichte freilich fort,"
"Doch singen kann ich nimmer, wag's nicht mehr."
"Und ach, was ist ein Reim, der nicht erklingt,"
"Der nicht zum Liede wird? 's ist eine Knospe,"
"Die ohne aufzublüh'n, vertrocknen muß."
"Das ist mein Gram. Deßhalb beneid' ich Jene,"
"Die in den Zweigen hausend singen dürfen."

Nachdem er diese Klagen ausgesprochen,
Senkt' er sein Haupt. Er that mir wahrlich leid,
Weil ich ihn liebe. Hat er gütig doch
Auch mir so manchen kleinen Vers geschenkt,
Den ich mein eigen nenne! Armer Bursch,
So reich daß du viel Frohe machen kannst,
Viel Glückliche durch deine reichen Gaben;
Und selbst betrübt, weil dir die eine fehlt!

Wie ich theilnehmend, dankbar ihn betrachte
Vom Schlummerplatz den ich mir auserseh'n;
Und wie nun Dunkelheit mit ihrem Schleier
Ihn dämmerhaft den Blicken fast entzieht;
Da hör' ich - war mir doch, als wär' es Traum?
Die Blätter flüstern und die Grillen zirpen:
"Sie ist's! Sie kommt!"
Wer? - Aus dem Schooß der Nacht
Schwebt nun, von Klängen durch die Luft getragen,
Glühwürmer zogen leuchtend vor ihr her -
Ein wundersam-anmuthig Frauenbild
Und senkt sich tönend nieder auf das Moos,
Den Trauernden mit zartem Arm' umschlingend.
Die Bäume rings streu'n duft'ge Blätter; tief
Und schelmisch neigen sich die kleinen Blumen;
Die Vögel zwitschern einen Hochzeitreigen. -

Als ich erwachte war der Morgen da,
Mein Traumgesicht war mit der Nacht entschwunden
Im Angedenken aber hielt ich fest
Der Holden Antlitz, wie des Jünglings Züge.

Und wieder zog ich weiter durch die Welt,
Gern weilend wo sich frohe Menschen regten,
Wo sie im Liede singend sich verbanden,
Oder wo einsam aus bewegter Brust
Ein tiefer Klang der Seele mild entquoll.

Sah ich ein Häuflein munt'rer Kinder spielen
Und sangen sie in kindlich-heit'rem Sinn,
Gleich sah ich mitten in der lust'gen Schaar
Ein Zauberkind sich tummeln, unbemerkt
Von ihnen, mir erkennbar, zweifellos,
An seiner Aehnlichkeit mit beiden Eltern:
Des Vaters Augen und der Mutter Mund,
Des süßen Bundes Pfand: Das kleine Lied!

Sah ich ein liebend Mädchen, das ihr Herz
In herzlichem Gesange öffnen wollte,
Ein Lied begann .. wer meint ihr guckte lächelnd
Ueber die Schultern ihm in's Notenblatt?
Ein ander' Mädchen, dessen Angesicht
Der Eltern wohlbekannte Züge trug.
Der Eltern aus dem blumenbunten Hain.

Und stellten sich die Freunde um ein Grab,
Den Abgeschied'nen feierlich zu ehren,
Wer, in den schwarzen Mantel eingehüllt,
Hat ihrem Trauerchor sich angeschlossen?
Ein ernster Knabe, seiner Eltern Bild,
Des Reim's, der Melodie; denn also tritt
Das treue Lied an aufgeworf'ne Gräber.

Und wenn zum Kampf, zu Streit, zu blut'ger Schlacht
Für oder Wider sich die Schaaren rüsten,
Wer zieht voran? Wer stimmt die Männerkehlen
Zu brausendem Gesang? Das kleine Kind
Mit Kindern spielend nicht! Das Mädchen nicht,
Wie es dem Mädchen in die Noten schaute!
Der Knabe nicht der an den Gräbern stand!
Ein Mann, Ein kräft'ger Mann. Und doch dasselbe
Das nämliche aus jenem Bund entspross'ne,
Das Lied: das Kind des Reim's, der Melodie!

Am Schönsten stellt sich's dar, am Herrlichsten,
Wenn's in die Zelle eines Lieblings tritt,
Wenn's einem Meister Segen bringt und Weihe.
Dann ist's ein Weib, ein hehres, blühendes,
Ein zartes Weib mit vollem grünem Kranze
In reinen Händen. Eine Musa ist es!
So trat es einst in uns'res Schubert Zelle
Und schmückte sie mit Himmel-Glanzes Helle.

Wenn's fromme Chöre in der Kirche lenkt,
Nimmt es die himmlische Gestalt des Engels;
So ist es heute Früh vor Euch erschienen. -
Und dennoch ist es immerdar dasselbe
Wie wir's zuerst geseh'n. Das bleibt es auch.

Und jetzt bei diesem Feste mag es walten
In allen seinen Formen und Gestalten:
Mag flöten wie ein Mädchen mildgesinnt,
Mag tändelnd scherzen wie ein kindlich Kind,
Mag ernst und heilig wie ein Engel schweben,
Mag Mann'sgesang durch Mark und Nerven beben,
Mag seinen Kranz um ew'ge Namen schlingen,
Mag Sängern, Hörern schöne Stunden bringen.
Ob nun aus einer Kehle, ob aus hundert
Du es vernimmst, geliebt stets und bewundert,
In welcher Form es dir zur Seele spricht,
Heiß' es willkommen und verleugn' es nicht!
In welcherlei Gestalt dein Aug' es sieht,
Ruf ihm entgegen: Heil dem deutschen Lied!


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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