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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Prolog eines, zum Besten der durch Ueberschwemmung Beschädigten,

im Theater gegebenen Concertes.

Gräz, 23. November 1851.


Ob auch der Mensch des Lebens kurze Zeit
Durch blinden Haß, durch thörichtes Verkennen
Bescheid'nen Glück's, durch Zwist und Krieg entweiht; -
Ob sich die Brüder von den Brüdern trennen; -
Ob Eitelkeit, mit Habsucht hand in Hand,
Himmlischer Liebe Huld verkümmert; -
Ob gier'ge Hast in manchem Land
Uralten Staatsbau, wie zum Spiel, zertrümmert; -
Ob Uebermuth mit blut'gen Waffen
Darnieder stürzt, was hoch und heilig war; -
(Zerstören kann er nur, nicht schaffen)
Ob er sich selbst auf den Altar
Als Götzen einer dummen Menge stellt; -
Ob es auf dieser armen Erdenwelt
Nie Friede wird; - ob lebendes Geschlecht
Nie Weisheit lernt aus der Geschichte Buche; -
Ob Ordnung, Wahrheit, Sitte, Recht
Stets unterliegen stets erneutem Fluche - -
Ein Segen blieb, ein Trost ward uns verlieh'n,
Trostreicher Segen Vieles zu vergüten;
Denn jeder Lenz, wo Gottes Sonne schien,
Ruft junge Blätter wach und junge Blüten;
Denn jeder Mai bringt neues Leben mit,
Und unverrückt in immer gleichem Maße
Folgt Jahr auf Jahr dem feierlichen Schritt
Der Ewigkeit, an weiter Himmelsstraße.
Da glüht der Sommer, reift der Herbst, da senkt
Der Winter seines weißen Mantels Hülle,
Da kehrt der Frühling wieder heim und schenkt
Den Wiesen Grün, den Vögeln Lust und Fülle.
Da steigt die Lerche jubelnd auf,
Da lebt's und webt's in Gras und Zweigen,
Da rauscht der Silberbach in heit'rem Lauf,
Wir folgen ihm und alle Klagen schweigen!
Ja diese Tröstung, wer empfand sie nicht
Im düstern Wechsel menschlicher Gewalten?
Wenn Zweifel dräu'n, wenn jede Stütze bricht,
An die Natur darf sich der Mensch noch halten:
In ihrem Reichthum wird der Aermste reich,
In ihrem Tempel sind wir alle gleich.
Da herrschet milder Gottesfriede,
Da giebt es fürder keine Unterschiede,
Da wohnt Versöhnung. - Wo uns Blumen blüh'n,
Darf Zwietracht nicht in Menschenherzen glüh'n.
Wonne, zu wissen, daß die Pracht
Der lieben Sterne flimmert über Nacht,
Alltäglich wiederkehrend neue Wonne:
Es bringt uns Lebenslicht die alte Sonne!
Gottes Gesetze steh'n für immerdar.
Mit Menschen-Satzung mögen Menschen schalten,
Doch was einmal Gesetz der Schöpfung war,
Das gilt und damit bleibt's beim Alten. -

Wie aber, wenn auch die Natur
Zu wechseln droht in unerforschten Reichen,
Wenn scheinbar von bestimmter Spur
Die Elemente regellos abweichen?
Es wächst die Frucht, so Hoffnung ausgestreut,
Es blüht der Wein auf sonnig grünen Hügeln,
Es grünt die Erde und der Landmann freut
An Mühen sich, weil Wünsche sie beflügeln.
"Ihr Elemente seid geneigt,
"Was ich gepflegt, ihr müßt es hegen,
"Nur wenn ihr euch gewogen zeigt,
"Ernt' ich der schweren Arbeit Segen."
Vergeb'ne Bitte, unerfüllt' Gebet,
Die Wolken zieh'n, der Westwind weht,
Der Regen strömt, der Wärme Schein
Hüllt sich in kalte Nebel ein.
"Nun morgen wird's wohl besser sein."
Doch Tag auf Tag entrinnt und täglich
Der Himmel grau, das Wetter kläglich,
"Kein Sommer mehr," so hört, wohin er kommt,
Der Reisende die Leute klagen.
"Kein Sommer mehr, wie er dem Bauer frommt,
"Wie er gewesen ist in alten Tagen;
"Auch die Natur weicht schon aus ihrer Bahn,
"Verkehrt ward Alles in den stürm'schen Zeiten,
"Wir Alten, die wir bess're Tage sah'n,
"Wir mögen auf den Tod uns nur bereiten."

Mit Noth und Müh', mit halbgebroch'ner Kraft
Wird die geringe Ernte eingerafft,
Zwar ist sie mager, doch im kleinen Hause
Herrscht Sparsamkeit und Fleiß - "Wer tüchtig schafft,"
"Bedarf nicht, daß er köstlich schmause.
"Man schlägt sich durch, es muß halt eben geh'n,
"Und über's Jahr, will's Gott, wird's besser steh'n.
"Der Winter ist nachg'rade nicht mehr fern,
"Das Stübchen warm, die Kinder wohl geborgen,
"Solch' einen Spätherbst aber hat man gern,
"Vor seiner Lieblichkeit entflieh'n des Sommers Sorgen.
"Was für ein warmer Tag, ich wette d'rauf,
"'s zieht ein Gewitter heute noch herauf.
- Wie im November? "Ja, ich glaube fast,
"Um diese Zeit ist das ein selt'ner Gast."

Und die Berge hallen wieder
Von Orkanes arger Wuth,
Regenströme rauschen nieder
In die schon geschwoll'ne Fluth.
Solche wilde Wassergüsse
Droh'n Gefahr mit Angst und Weh',
Aus den Bächen werden Flüsse,
Und der Fluß tritt aus zum See.
Brücken, die den Weg verbinden,
Wege, die ein Damm geschützt,
Brücken, Wege, Dämme schwinden,
Wo kein Widerstand mehr nützt.
Steingeröll', womit gleich Sande
Rasendes Gewässer spielt,
Lagert auf fruchtbarem Lande,
Dessen Schooß die Saat enthielt.
Bäume, die, den Wald zu schonen,
Wachsen durften hundert Jahr.
Stellen statt der grünen Kronen
Nun zerriss'ne Wurzeln dar.
Auf des Friedhofs heil'gem Grunde
Wühlt es die Begrab'nen aus,
Und die stummen Leichen-Munde
Predigen Vernichtungs-Graus.
In den Sturm und um die Wette
Brüllt das eingesperrte Vieh,
Klirrt mit wildgesprengter Kette
Dumpfe Todes-Melodie.

Und am zweiten Jammertage
Steigt die Fluth vom Stall in's Haus,
"Vater, nimm die Wiege, trage
"Sie zuerst, zuerst hinaus.
"Auf zum Boden unterm Dach;
"Kinder folgt mir alle nach.
"Wird kein Mensch mit kräft'gen Armen,
"Dem ein herz im Busen schlägt,
"Uns'rer Kinder sich erbarmen,
"Eh' der Mauer Grund erbebt?
"Wird kein Schifflein, wird kein Nachen,
"Mild geführt und stark gelenkt,
"Retten aus des Todes Nachen
"Uns und die uns Gott geschenkt?"
Droben auf des Daches Sparren
Sitzt der Vater todtenblaß,
Ruft verzweifelt sonder Harren
"Hilfe" sonder Unterlaß.
Und die Mutter sammt den Kindern
Klammert an den bleichen Mann,
Ihrer Seele Qual zu mindern,
Sich in frost'gen Schaudern an.
"Kommt ein Kahn?" das ist der Kleinen
Stete Frage. "Alles leer."
Und sie winseln, aber weinen,
Schreien können sie nicht mehr.
"Weib, horch auf, ist's Täuschung, blendet
"Mich des Wassers Wiederschein?
"Nein, bei Gott, ein Schiff, es wendet
"Sich zu uns; herein, herein!
"Hierher!! haben's schon vernommen,
"Brave Ruderer, steuert kühn,
"Kinder, Weib, da seht, sie kommen,
"Himmel, segne ihr Bemüh'n!"

Krieger, noch vom Pulverdampfe,
Und vom Brand der Sonne braun,
Nah'n dem Aufruhr, nah'n dem Kampfe
Siegreich und voll Gottvertrau'n.
Sind gewohnt, in der Empörung
Treu und männlich fest zu steh'n,
Bringen Denen jetzt Erhörung,
Die halbtodt um Hilfe fleh'n.
Eltern, Kinder knie'n im Kahne,
"Rasch davon, noch viel zu thun."
Und die Mutter, froh im Wahne,
Alles sei gerettet nun,
Meint, das Kleinste aus der Wiege
Schlumm're an des Vaters Brust,
Wo es warm und sicher liege.
"Gieb mir meine Last und Lust,
"Gieb es mir, mein Kind der Schmerzen,
"Daß es in der Schreckensnacht
"Seiner Mutter ruh' am Herzen,
"Die es auf die Welt gebracht. -
"Weib, ich hab's nicht! unterm Dache
"Blieb die Wiege mit dem Kind."
""Umgelenkt den Kahn!"" Die schwache
Kranke Frau ergreift geschwind
Eins der Ruder. - ""Auf und eilet.""
""Umgelenkt!"" Zu spät, es wankt
Schon ihr Haus, ein Riß, es theilet
Das Gebäu' sich, zittert, schwankt -
Und es stürzt in sich zusammen. - -
Als sie nun an's Ufer schwammen
Auf dem leichten dünnen Kahn,
Retter, Eltern, Kinder - sah'n,
Alle, die beim Fackellicht
Sie empfingen, im Gesicht
Jener Mutter eingeschrieben:
Ein's ist todt zurückgeblieben. - - -

Und abermals ein Tag bricht an,
Vom Ufer starrt der schwergeprüfte Mann
In die Vernichtung weit hinaus.
"Dort," sagt er, "stand mein älterliches Haus.
"Mein Garten liegt und meine Felder liegen
"Verwüstet dort - Ein Kind! die Wellen wiegen
"Es in den Todes-Schlaf. Herrgott warum
"Thatst Du uns das?" Dann steht er trotzig, stumm,
Und blickt in Gram und Groll hinaus
Nach seinem Feld, nach dem versunk'nen Haus. -

Was schaukelt auf den Wogen,
Was kommt vom Winde bewegt
Dort schwimmend herangezogen?
Ein Kind in der Wiege, das regt,
Das hebt die kleinen Hände,
Es lebt und lächelt ihm zu,
Es naht sich dem Ufergelände.
"Mein verlornes Kind bist du.
"So warm in der Wiege gebettet,
"Hat dich aus zwiefachem Grab
"Ein schützender Engel gerettet!
"Nun zur Mutter, die dich mir gab."

Das ist ein Treiben, seht, von allen Seiten,
Aus Näh' und Ferne kommen sie heran,
Mitfühlend, rettend, all' die Hilfbereiten,
Und Jeder spendet, was er irgend kann.
Vom Thron' bis in die nied're Hütte tönet
Der warme Ruf: Ihr Brüder, stellt Euch ein,
Thut Euer Bestes, Menschen, und versöhnet
Unglückliche mit schwerer Prüfung Pein.

Wie wunderbar! Dieselben, die sich gestern
In strengen Worten feindlich kalt gezeigt,
Ja Solche selbst, die häufig schmäh'n und lästern,
Mit feuchten Augen steh'n sie fromm geneigt.
Sie bringen auch ihr Opfer dar; sie messen
Nach Gunst und Ungunst ihre Gaben nicht,
Die Zwietracht schweigt, die Feindschaft ist vergessen,
Nur Mitleid waltet, nur die Liebe spricht.

Und fragst Du wieder Mensch in Deinem Wahn,
Herr Gott, warum hast Du uns das gethan?
So tönt herab aus Wolken der Bescheid:
Weil stets ihr eure eig'nen Feinde seid,
Ihr Menschen, weil in Selbstsucht, kaltem Neid,
In schnödem Haß ihr allzumal entbrennet,
Und eu'rer Pflichten erste Pflicht verkennet:
Der Nächstenliebe Pflicht; weil ihr nicht hört
Auf sanfte Warnungen, darum empört,
Euch zu erschüttern, oft sich die Natur,
Gießt Fluch statt Segen über eure Flur,
Und raset blind, wie losgelass'ne Sclaven.
Kleingläub'ge nennen das des Himmels Strafen.
Wir nennen's: eines guten Vaters Ruf,
Der alle Kinder liebt, weil er sie schuf,
Und der mit seiner Schöpfung finstern Schrecken
Nicht züchtigen, nein, Liebe will erwecken;
Der so Gefahr und Noth und Tod verhängt,
Damit, von ernster Mahnung schwer bedrängt,
Und von Erbarmen innig angetrieben,
Der Mensch den Menschen wieder lerne lieben.

Und dieser Liebe Hauch hat uns, wie Euch, berührt,
Er hat Euch hier in diesen Raum geführt,
Wo wir Euch uns'rer Armuth Gaben
Aus gutem Willen gern bereitet haben.
Ihr Scherflein giebt die Kunst mit frohem Sinn;
Nehmt, was wir bieten können, gütig hin.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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