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 Anastasius Grün
 Gedichte
. 1869
 
 
 
 
 
Zwei Harfen Durch der Seele Tiefen klingendWeht in mir ein Harfenpaar,
 Brausend tönt das Spiel der einen,
 Das der andern sanft und klar;
 Zwei der Kräfte, die sich hassen,
 Geben ihnen Klang und Laut,
 In den Saiten wettert diese,
 Jene küßt sie leis' und traut.
 
 Wie von Fels auf Felsbett stürzend
 Wild der Katarakt erdröhnt,
 Wie, wenn Donnerkeile rasen,
 Dumpf es durch die Bergschlucht stöhnt,
 Wie der Sturz der fessellosen
 Schneelavin' im Thal verhallt,
 Also auch die eine Harfe
 Mir im Busen dröhnend schallt.
 
 Doch wie über Rosenhaine
 Zefir haucht den Morgenkuß,
 Wie aus fernen, fernen Welten
 Der Geliebten leiser Gruß,
 Wie bei Nacht sich's still harmonisch
 In Cipressenwipfeln regt,
 Tönt der andern Harfe Lispeln,
 Zart von milder Kraft bewegt.
 
 Hätte doch die beiden Kräfte
 Gleiches Streben hold vereint!
 Unbesiegbar, unversöhnbar
 Bleiben sie sich ewig feind;
 Bis die letzte Sait' in Trümmer,
 Jede Harf' in Staub zerbricht,
 Dann befeinden sie sich nimmer,
 Aber, ach - sie tönen nicht!
 
 
 Anastasius
Grün . 1806 - 1876
 
 
 
 
 
 
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