| 
 162 Bücher
 | 
 
 Anastasius Grün
 Gedichte
. 1869
 
 
 
 
 
Verwandlung 1.
 Es lag ein lockiger Knabe
 Am blüh'nden italischen Strand
 Zum blauen, ewigen Aether
 Das flammende Aug' gebannt.
 
 Die Glieder streckten sich wonnig
 Im üppig schwellenden Grün.
 Die hohen, schlanken Palmen
 Umrauschten wie Harfen ihn.
 
 Es schlangen sich Rebengewinde
 Von Palme zu Palm' empor,
 Draus blickten purpurne Trauben,
 Wie küssende Lippen, hervor.
 
 Es guckten mit gaukelnden Häuptern
 Die Rosen aus duft'gem Gesträuch,
 Wie blühende Mädchengesichter,
 Erröthend und nickend zugleich.
 
 Es raschelte fröhliches Leben
 Durch schattige Blätternacht,
 Gesänge von tausend Kehlen
 Sind rings in den Zweigen erwacht!
 
 Besä't ist mit silbernen Segeln
 Des Meeres unendlicher Plan,
 Drauf schimmert die Morgenröthe
 Als zweiter Ozean.
 
 Der Knabe schaut so selig
 Meer, Erd' und Aethergezelt,
 Und staunt in den herrlichen Himmel,
 Und freut sich der herrlichen Welt!
 
 Der Träumer, von allen Wonnen
 Italischen Himmels umglüht,
 Er ist das Bild meiner Liebe,
 Wie sie mir einst geblüht.
 
 
 2.
 
 Es wallt ein düstrer Pilger
 Durch afrikanischen Sand,
 Ein schmales Bündel am Rücken,
 Den Knotenstab in der Hand.
 
 So weit sein Ruf auch töne,
 Kein Ruf, der wiedertönt!
 So weit sein Herz sich sehne,
 Kein Herz, das nach ihm sich sehnt!
 
 Bei Gräbern und Pyramiden
 Verweilt er gar manche Zeit!
 Es mahnt die verwitterte Inschrift
 Ihn schöner Vergangenheit.
 
 In staub'gen Papyrusrollen
 Liest er das Aug' sich fast blind,
 Und liest und enträthselt die Kunde
 Von Lenzen, die nimmer sind.
 
 Gern möcht' er in Tempeln beten,
 Nur Trümmer findet er mehr!
 Altäre und Götter liegen
 Zerstückelt am Boden umher.
 
 So wankt er sinnend weiter
 Durch's weite, wüste Land!
 Rings über ihm glühender Himmel,
 Rings um ihn glühender Sand!
 
 Kein Quell, der ihn erquicke,
 Kein Baum, der Schatten streut,
 Kein Moos, darauf er schlummre,
 Kein Strauch, der Früchte beut! -
 
 Wer hätt' in dem sinstern Wandrer
 Den fröhlichen Knaben erkannt,
 Der einst so selig gelagert
 Am blüh'nden italischen Strand?
 
 
 Anastasius
Grün . 1806 - 1876
 
 
 
 
 
 
 |  |