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 Anastasius Grün
 Gedichte
. 1869
 
 
 
 
 
In den pontinischen Sümpfen Feldgrüne, Meeresbläue, Himmelshelle,Mir sonst so lieb, wie grinst ihr hier mich an!
 Blau ist das Meer, doch trägt die ruh'nde Welle
 Kein Segel, keinen Nachen, keinen Schwan.
 
 Hell ist die Luft, doch eine Glanzeswüste,
 Durch die kein Vogel singt, kein Wölkchen schwebt;
 Grün ist das Feld, doch Moor, bis fern zur Küste,
 Draus sich kein Haus, kein Baum, kein Strauch erhebt.
 
 Und nur ein Streif von weißem Nebelrauche
 Kriecht durch die Mooresöde, lang und weit,
 Als wälzte fraßesmatt, träg auf dem Bauche
 Dahin die Schlange sich der Ewigkeit.
 
 Sieh, mählich aus dem schwanken Dunstkolosse
 Entringt sich Form und Bild im Sonnenstrahl,
 Er wird zum leuchtenden, kristallnen Schlosse
 Mit blankem Silberdach und hohem Saal.
 
 Auf diamantnem Thron saß siegestrunken
 Der König, - ach, wie hieß er doch? - sein Haupt
 War an die Brust der Königin gesunken,
 Vom Kranz war's der Unsterblichkeit umlaubt.
 
 Am Throne links rührt' eine goldne Leier
 Ein Dichter süß, - wie hieß er doch? - der sang:
 "Unsterblich ist dein Lieben! ihm zur Feier,
 Fürst, gibt ja mein unsterblich Lied den Klang!"
 
 Am Throne rechts, da saß ein weiser Seher,
 - Wie hieß er doch? - der schrieb's in Marmor ein;
 "Unsterblich ist dein Sieg! Es müßte eher
 Ja mein unsterblich Wort verklungen sein!"
 
 Ein Volk, - wie hieß es doch? - das pries unsterblich
 Den Sänger, Seher und das Fürstenpaar:
 "Ein Volk, an Glück und Ehren unverderblich,
 Hebt auf dem Schild euch zu den Göttern dar!" -
 
 Als so den Trank Unsterblichkeit sie tranken
 In vollem Zug, faßt Trunkenheit sie all',
 Des Königs Kron', des Dichters Harfe wanken,
 Des Weisen Marmor, Volk und Schloß und Wall!
 
 Wo flieh' ich hin, daß nicht kristallne Thore,
 Demantne Säulen stürzen auf mich ein? - -
 Ei! sieh um dich! Im weiten grünen Moore,
 Am Strand des Meers, stehst du ja ganz allein!
 
 Und nur ein Streif von weißem Nebelrauche
 Kriecht durch die Mooresöde, lang und weit,
 Als wälzte fraßesmatt, träg auf dem Bauche
 Dahin die Schlange sich der Ewigkeit.
 
 
 Anastasius
Grün . 1806 - 1876
 
 
 
 
 
 
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