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 Anastasius Grün
 Gedichte
. 1869
 
 
 
 
 
Den Vogel an den Federn! Genüber der Hofburg stehtDer Thurm der Kathedrale,
 Drauf des Landes Banner weht
 Prunkhaft im Sonnenstrahle.
 
 Sein Nest an die Stange flicht
 Ein Vogel dort alljährlich;
 Ward ihr des Baues Gewicht,
 Das Picken der Jungen gefährlich?
 
 Hat mitgeholfen der Wind,
 Die Zeit mit zermalmendem Zahne?
 Eines Tages pfeilgeschwind
 Vom Thurme stürzte die Fahne.
 
 Der Fürst sieht vom Balkon
 Des Banners Sinken und Fallen!
 "Verrath und Rebellion!
 Herbei zum Kampf, ihr Vasallen!
 
 "Die Meuter erklommen den Thurm,
 Zu läuten des Aufstands Glocken!
 Sie stürzten mein Banner im Sturm!"
 So rief der Fürst erschrocken.
 
 Das ist durch Gang und Gemach
 Ein Rufen, Rennen und Schreien!
 Hofdamen flüchten aufs Dach,
 In den Keller die Lakaien.
 
 Es sprengen rechts und links
 Ordonnanzen und Staffeten,
 Und aus den Kasernen rings
 Hallt's von Trommeln und Trompeten.
 
 Den friedlichen Bürger verschlingt
 Des Marktes Drängen und Tosen,
 Der Staatsminister springt
 Verkehrt in die Galahosen.
 
 Von Bajonetten ein Strom
 Quillt blitzend hervor aus den Gassen,
 Es dröhnen Pallast und Dom
 Vom Trabe der Reitermassen.
 
 Zur Stadt im Flügelschritt
 Zieht Landsturm aller Farben
 Und jammernde Bauern mit
 Ob der zertretenen Garben.
 
 Kanonen rasseln heran,
 Die Lunte glimmt schlagfertig,
 Entrollt steht auf dem Plan
 Das Heer, des Kampfes gewärtig. -
 
 In der Lüfte sonnigen Strom,
 In der Wolken stummen Reigen
 Ragt still und tief der Dom,
 Am Thurm die Glocken schweigen.
 
 Wer hat in dies Volk hinein
 Gesä't des Unheils Samen?
 Ein winziges Vögelein!
 Wer nennt uns seinen Namen?
 Den Namen kennt man kaum,
 
 Er klingt fast wie Gewissen;
 Man macht aus des Vogels Flaum
 Allerhand Ruhekissen.
 
 
 Anastasius
Grün . 1806 - 1876
 
 
 
 
 
 
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