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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Das garstige Gesicht
Wenn einen würdigen Biedermann,
Pastorn oder Rathsherrn lobesan,
Die Wittib läßt in Kupfer stechen
Und drunter ein Verslein radebrechen;
Da heißt's: Seht hier mit Kopf und Ohren
Den Herrn, Ehrwürdig, Wohlgeboren!
Seht seine Augen und seine Stirn;
Aber sein verständig Gehirn,
So manch Verdienst ums gemeine Wesen,
Könnt ihr ihm nicht an der Nase lesen.
So, liebe Lotte! heißt's auch hier:
Ich schicke da mein Bildniß dir.
Magst wohl die ernste Stirne sehen,
Der Augen Glut, der Locken Wehen;
's ist ungefähr das garst'ge Gesicht:
Aber meine Liebe siehst du nicht.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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