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Gedichte
162 Bücher



Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte . 1825



Erklärung eines alten Holzschnittes,

vorstellend:
Hans Sachsens poetische Sendung.


In seiner Werkstatt Sonntags früh
Steht unser theurer Meister hie,
Sein schmutzig Schurzfell abgelegt,
Einen saubern Feierwamms er trägt;
Läßt Pechdraht, Hammer und Kneipe rasten,
Die Ahl' steckt an dem Arbeitskasten!
Er ruht nun auch am sieb'nten Tag
Von manchem Zug und manchem Schlag.

Wie er die Frühlingssonne spürt,
Die Ruh' ihm neue Arbeit gebiert:
Er fühlt, daß er eine kleine Welt
In seinem Gehirne brütend hält,
Daß die fängt an zu wirken und zu leben,
Daß er sie gerne möcht' von sich geben.

Er hätt' ein Auge treu und klug,
Und wär' auch liebevoll genug,
Zu schauen Manches klar und rein,
Und wieder alles zu machen fein,
Hätt' auch eine Zunge, die sich ergoß,
Und leicht und fein in Worte floß;
Deß thäten die Musen sich erfreun,
Wollten ihn zum Meistersänger weihn.

Da tritt herein ein junges Weib,
Mit voller Brust und rundem Leib,
Kräftig sie auf den Füßen steht,
Gar edel vor sich hin sie geht,
Ohne mit Schlepp' und Steiß zu schwenzen,
Oder mit den Augen herum zu scharlenzen.
Sie trägt einen Maßstab in ihrer Hand,
Ihr Gürtel ist ein gülden Band,
Hätt' auf dem Haupt einen Kornährenkranz,
Ihr Auge war lichten Tages Glanz;
Man nennt sie thätig Ehrbarkeit,
Sonst auch Großmuth, Rechtfertigkeit.

Die tritt mit gutem Gruß herein;
Er drob nicht mag verwundert seyn;
Denn wie sie ist, so gut und schön,
Meint er, er hätt' sie lang gesehn.

Die spricht: ich habe dich auserlesen,
Vor Vielen in dem Weltwirrwesen,
Daß du sollst haben klare Sinnen,
Nichts Ungeschicklichs magst beginnen.
Wenn Andre durch einander rennen,
Sollst du's mit treuem Blick erkennen;
Wenn Andre bärmlich sich beklagen,
Sollst schwankweis deine Sach' fürtragen;
Sollst halten über Ehr' und Recht,
In allen Dingen seyn schlicht und schlecht,
Frummkeit und Tugend bieder preisen,
Das Böse mit seinem Namen heißen,
Nichts verlindert und nichts verwitzelt;
Nichts verzierlicht und nichts verkritzelt.
Sondern die Welt soll vor dir stehn,
Wie Albrecht Dürer sie hat gesehn,
Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innre Kraft und Ständigkeit.
Der Natur Genius an der Hand
Soll dich führen durch alle Land',
Soll dir zeigen alles Leben,
Der Menschen wunderliches Weben,
Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben,
Schieben, Reißen, Drängen und Reiben,
Wie kunterbunt die Wirthschaft tollert,
Der Ameishauf' durch einander kollert,
Mag dir aber bei allem geschehn,
Als thät'st in einen Zauberkasten sehn.
Schreib das dem Menschenvolk auf Erden,
Ob's ihm möcht' eine Witzung werden.
Da macht' sie ihm ein Fenster auf,
Zeigt ihm draußen viel bunten Hauf,
Unter dem Himmel allerlei Wesen,
Wie ihr mögt in seinen Schriften lesen.

Wie nun der liebe Meister sich
An der Natur freut wunniglich,
Da seht ihr an der andern Seiten
Ein altes Weiblein zu ihm gleiten;
Man nennet sie Historia,
Mythologia, Fabula;
Sie schleppt mit Keuchen und wankenden Schritten
Eine große Tafel in Holz geschnitten;
Darauf seht ihr mit weiten Aermeln und Falten
Gott Vater Kinderlehre halten,
Adam, Eva, Paradies und Schlang',
Sodom und Gomorra's Untergang,
Könnt auch die zwölf durchlauchtigen Frauen
Darin einem Ehrenspiegel schauen;
Dann allerlei Blutdurst, Frevel und Mord,
Der zwölf Tyrannen Schandenport,
Auch allerlei Lehr' und gute Weis.
Könnt sehen St. Peter mit der Gais,
Ueber der Welt Regiment unzufrieden,
Von unserm Herrn zurecht beschieden,
Auch war bemahlt der weite Raum
Ihres Kleids und Schlepps und auch der Saum
Mit weltlich Tugend und Laster Geschicht.

Unser Meister das all' ersicht,
Und freut sich dessen wundersam;
Denn es dient sehr in seinen Kram,
Von wannen er sich eignet sehr
Gut Erempel und gute Lehr',
Erzählt das eben fix und treu,
Als wär' er selbst gesyn dabei,
Sein Geist war ganz dahin gebannt,
Er hätt' kein Auge davon verwandt,
Hätt' er nicht hinter seinem Rucken
Hören mit Klappern und Schellen spucken.

Da thät' er einen Narren spüren
Mit Bocks- und Affensprüng hofiren,
Und ihm mit Schwank und Narretheiden
Ein lustig Zwischenspiel bereiten.
Schleppt hinter sich an einer Leinen
Alle Narren, groß und kleinen,
Dick und hager, gestreckt und krumb,
Allzu witzig und allzu dumb.
Mit einem großen Farrenschwanz
Regiert er sie wie ein'n Affentanz.
Bespottet eines jeden Fürm,
Treibt sie ins Bad, schneidt ihnen die Würm,
Und führt gar bitter viel Beschwerden,
Daß ihrer doch nicht wollen weniger werden.

Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt ihm das fast den Kopf herum,
Wie er wollt' Worte zu allem finden?
Wie er möcht' so viel Schwall verbinden?
Wie er möcht' immer muthig bleiben,
So fortzusingen und zu schreiben?
Da steigt auf einer Wolke Saum
Herein zu's Oberfensters Raum
Die Muse, heilig anzuschauen,
Wie ein Bild unsrer lieben Frauen.
Die umgibt ihn mit ihrer Klarheit
Immer kräftig wirkender Wahrheit.
Sie spricht: Ich komm', um dich zu weihn.
Nimm meinen Segen und Gedeihn!
Das heilig Feuer, das in dir ruht,
Schlag' aus in hohe, lichte Gluth!
Doch, daß das Leben, das dich treibt,
Immer bei holden Kräften bleibt,
Hab' ich deinem innern Wesen
Nahrung und Balsam auserlesen,
Daß deine Seel' sey wonnereich
Einer Knospe im Thaue gleich.

Da zeigt sie ihm hinter seinem Haus
Heimlich zur Hinterthur hinaus
In dem eng umzäunten Garten
Ein holdes Mägdlein sitzend warten
Am Bächlein, beim Hollunderstrauch;
Mit abgesenktem Haupt und Aug'
Sitzt's unter einem Apfelbaum,
Und spürt die Welt rings um sich kaum;
Hat Rosen in ihren Schooß gepflückt,
Und bindet ein Kränzlein sehr geschickt,
Mit hellen Knospen und Blättern drein:
Für wen mag wohl das Kränzel seyn?
So sitzt sie in sich selbst geneigt,
In Hoffnungsfülle ihr Busen steigt,
Ihr Wesen ist so ahndevoll,
Weiß nicht, was sie sich wünschen soll,
Und unter vieler Grillen Lauf
Steigt wohl einmal ein Seufzer auf.

Warum ist deine Stirn so trüb?
Das, was dich dränget, süße Lieb',
Ist volle Wonn' und Seligkeit,
Die dir in einem ist bereit,
Der manches Schicksal wirrevoll
An deinem Auge sich lindern soll;
Der durch manch wonniglichen Kuß
Wiedergeboren werden muß,
Wie er den schlanken Leib umfaßt,
Von aller Mühe findet Rast,
Wie er ins liebe Aermlein sinkt,
Neue Lebenstäg' und Kräfte trinkt.
Und dir kehrt neues Jugendglück,
Deine Schalkheit kehret dir zurück.
Mit Necken und manchen Schelmereien
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen,
So wird die Liebe nimmer alt,
Und wird der Dichter nimmer kalt.

Wie er so heimlich glücklich lebt,
Da droben in den Wolken schwebt
Ein Eichkranz ewig jung belaubt,
Den setzt die Nachwelt ihm auf's Haupt,
In Froschpfuhl all das Volk verbannt,
Das seinen Meister je verkannt.


  Johann Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832






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