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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Die Geheimnisse
Ein Fragment.
Der Morgen kam; es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing,
Daß ich erwacht, aus meiner stillen Hütte
Den Berg hinauf mit frischer Seele ging;
Ich freute mich bei einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.
Und wie ich stieg, zog von dem Fluß der Wiesen
Ein Nebel sich in Streifen sacht' hervor.
Er wich und wechselte, mich zu umfließen,
Und wuchs geflügelt mir um's Haupt empor:
Des schönen Blicks sollt' ich nicht mehr genießen,
Die Gegend deckte mir ein trüber Flor;
Bald sah ich mich von Wolken wie umgossen,
Und mit mir selbst in Dämm'rung eingeschlossen.
Auf einmal schien die Sonne durchzudringen,
Im Nebel ließ sich eine Klarheit sehn.
Hier sank er leise sich hinab zu schwingen,
Hier theilt' er steigend sich um Wald und Höhn.
Wie hofft' ich ihr den ersten Gruß zu bringen!
Sie hofft' ich nach der Trübe doppelt schön.
Der luft'ge Kampf war lange nicht vollendet,
Ein Glanz umgab mich, und ich stand geblendet.
Bald machte mich, die Augen aufzuschlagen,
Ein inn'rer Trieb des Herzens wieder kühn,
Ich konnt' es nur mit schnellen Blicken wagen;
Denn alles schien zu brennen und zu glühn.
Da schwebte, mit den Wolken hergetragen,
Ein göttlich Weib vor meinen Augen hin,
Kein schöner Bild sah ich in meinem Leben,
Sie sah mich an und blieb verweilend schweben.
Kennst du mich nicht? sprach sie mit einem Munde,
Dem aller Lieb' und Treue Ton entfloß:
Erkennst du mich? die ich in manche Wunde
Des Lebens dir den reinsten Balsam goß.
Du kennst mich wohl, an die, zu ew'gem Bunde,
Dein strebend Herz sich fest und fester schloß.
Sah ich dich nicht mit heißen Herzensthränen
Als Knaben schon nach mir dich eifrig sehnen?
Ja! rief ich aus, indem ich selig nieder
Zur Erde sank, lang' hab' ich dich gefühlt;
Du gabst mir Ruh', wenn durch die jungen Glieder
Die Leidenschaft sich rastlos durchgewühlt;
Du hast mir, wie mit himmlischem Gefieder,
Am heißen Tag die Stirne sanft gekühlt;
Du schenktest mir der Erde beste Gaben,
Und jedes Glück will ich durch dich nur haben!
Dich nenn' ich nicht Zwar hör' ich dich von vielen
Gar oft genannt, und jeder heißt dich sein,
Ein jedes Auge glaubt auf dich zu zielen,
Fast jedem Auge wird dein Strahl zur Pein.
Ach, da ich irrte, hatt' ich viel Gespielen,
Da ich dich kenne, bin ich fast allein;
Ich muß mein Glück nur mit mir selbst genießen,
Dein holdes Licht verdecken und verschließen.
Sie lächelte, sie sprach: Du siehst, wie klug,
Wie nöthig war's, euch wenig zu enthüllen!
Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug,
Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen;
So glaubst du dich schon Uebermensch genug,
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!
Wie viel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich! leb' mit der Welt in Frieden.
Verzeih mir, rief ich aus, ich meint' es gut,
Soll ich umsonst die Augen offen haben?
Ein froher Wille lebt in meinem Blut,
Ich kenne ganz den Werth von deinen Gaben!
Für andre wächst in mir das edle Gut,
Ich kann und will das Pfund nicht mehr vergraben!
Warum sucht' ich den Weg so sehnsuchtsvoll,
Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?
Und wie ich sprach, sah mich das hohe Wesen
Mit einem Blick mitleid'ger Nachsicht an;
Ich konnte mich in ihrem Auge lesen,
Was ich verfehlt und was ich recht gethan.
Sie lächelte, da war ich schon genesen,
Zu neuen Freuden stieg mein Geist heran:
Ich konnte nun mit innigem Vertrauen
Mich zu ihr nahn und ihre Nähe schauen.
Da reckte sie die Hand aus in die Streifen
Der leichten Wolken und des Dufts umher,
Wie sie ihn faßte, ließ er sich ergreifen,
Er ließ sich ziehn, es war kein Nebel mehr.
Mein Auge konnt' im Thale wieder schweifen,
Gen Himmel blickt' ich; er war hell und hehr.
Nur sah ich sie den reinsten Schleier halten,
Er floß um sie und schwoll in tausend Falten.
Ich kenne dich, ich kenne deine Schwächen,
Ich weiß, was Gutes in dir lebt und glimmt!
So sagte sie, ich hör' sie ewig sprechen,
Empfange hier, was ich dir lang bestimmt,
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
Der dieß Geschenk mit stiller Seele nimmt;
Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.
Und wenn es dir und deinen Freunden schwüle
Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft!
Sogleich umsäuselt Abendwindes Kühle
Umhaucht euch Blumenwürzgeruch und Duft.
Es schweigt das Wehen banger Erdgefühle,
Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft,
Besänftiget wird jede Lebenswelle,
Der Tag wird lieblich, und die Nacht wird helle.
So kommt denn, Freunde, wenn auf Euern Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,
Wenn Eure Bahn ein frischerneuter Segen
Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!
So leben wir, so wandeln wir beglückt.
Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,
Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.
Ein wunderbares Lied ist euch bereitet:
Vernehmt es gern, und jeden ruft herbei!
Durch Berg und Thäler ist der Weg geleitet;
Hier ist der Blick beschränkt, dort wieder frei,
Und wenn der Pfad sacht' in die Büsche gleitet,
So denket nicht, daß es ein Irrthum sey,
Wir wollen doch, wenn wir genug geklommen,
Zur rechten Zeit dem Ziele näher kommen.
Doch glaube keiner, daß mit allem Sinnen
Das ganze Lied er je enträthseln werde:
Gar viele müssen vieles hier gewinnen,
Gar manche Blüthen bringt die Mutter Erde;
Der Eine flieht mit düsterm Blick von hinnen,
Der Andre weilt mit fröhlicher Geberde:
Ein jeder soll nach seiner Lust genießen,
Für manchen Wand'rer soll die Quelle fließen.
Ermüdet von des Tages langer Reise,
Die auf erhabnen Antrieb er gethan,
An einem Stab, nach frommer Wand'rer Weise
Kam Bruder Markus, außer Steg und Bahn,
Verlangend nach geringem Trank und Speise,
In einem Thal am schönen Abend an,
Voll Hoffnung, in den waldbewachs'nen Grün den
Ein gastfrei Dach für diese Nacht zu finden.
Am steilen Berge, der nun vor ihm stehet,
Glaubt er die Spuren eines Wegs zu sehn,
Er folgt dem Pfade, der in Krümmen gehet,
Und muß sich steigend um die Felsen drehn;
Bald sieht er sich hoch über's Thal erhöhet,
Die Sonne scheint ihm wieder freundlich schön,
Und bald sieht er, mit innigem Vergnügen,
Den Gipfel nah' vor seinen Augen liegen.
Und nebenhin die Sonne, die im Neigen
Noch prachtvoll zwischen dunkeln Wolken thront:
Er sammelt Kraft, die Höhe zu ersteigen,
Dort hofft er seine Mühe bald belohnt.
Nun, spricht er zu sich selbst, nun muß sich zeigen,
Ob etwas Menschlichs in der Nähe wohnt!
Er steigt und horcht, und ist wie neu geboren,
Ein Glockenklang erschallt in seinen Ohren.
Und wie er nun den Gipfel ganz erstiegen,
Sieht er ein nahes, sanft geschwungnes Thal,
Sein stilles Auge leuchtet von Vergnügen;
Denn vor dem Walde sieht er auf einmal
In grüner Au' ein schön Gebäude liegen,
So eben trifft's der letzte Sonnenstrahl:
Er eilt durch Wiesen, die der Thau befeuchtet,
Dem Kloster zu, das ihm entgegen leuchtet.
Schon sieht er dicht sich vor dem stillen Orte,
Der seinen Geist mit Ruh' und Hoffnung füllt,
Und auf dem Bogen der geschloss'nen Pforte
Erblickt er ein geheimnißvolles Bild.
Er steht und sinnt, und lispelt leise Worte
Der Andacht, die in seinem Herzen quillt,
Er steht und sinnt, was hat das zu bedeuten?
Die Sonne sinkt, und es verklingt das Läuten!
Das Zeichen sieht er prächtig aufgerichtet,
Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht,
Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet,
Zu dem viel tausend Herzen warm gefleht,
Das die Gewalt des bittern Tod's vernichtet,
Das in so mancher Siegesfahne weht:
Ein Labequell durchdringt die matten Glieder,
Er sieht das Kreuz, und schlägt die Augen nieder.
Er fühlet neu, was dort für Heil entsprungen,
Den Glauben fühlt er einer halben Welt;
Doch von ganz neuem Sinn wird er durchdrungen
Wie sich das Bild ihm hier vor Augen stellt;
Es steht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen.
Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt?
Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten
Das schroffe Herz mit Weichheit zu begleiten.
Und leichte Silberhimmelswolken schweben,
Mit Kreuz und Rosen sich empor zu schwingen,
Und aus der Mitte quillt ein heilig Leben
Dreifacher Strahlen, die aus Einem Punkte dringen;
Von keinen Worten ist das Bild umgeben,
Die dem Geheimniß Sinn und Klarheit bringen.
Im Dämmerschein, der immer tiefer grauet,
Steht er und sinnt, und fühlet sich erbauet.
Er klopft zuletzt, als schon die hohen Sterne
Ihr helles Auge zu ihm nieder wenden.
Das Thor geht auf, und man empfängt ihn gerne
Mit offnen Armen, mit bereiten Händen.
Er sagt, woher er sey, von welcher Ferne
Ihn die Befehle höherer Wesen seuden.
Man horcht und staunt. Wie man den Unbekannten
Als Gast geehrt, ehrt man nun den Gesandten.
Ein jeder drängt sich zu, um auch zu hören,
Und ist bewegt von heimlicher Gewalt,
Kein Odem wagt, den seltnen Gast zu stören,
Da jedes Wort im Herzen wiederhallt.
Was er erzählet, wirkt, wie tiefe Lehren
Der Weisheit, die von Kinderlippen schallt:
An Offenheit, an Unschuld der Geberde
Scheint er ein Mensch von einer andern Erde.
Willkommen! ruft zuletzt ein Greis, willkommen,
Wenn deine Sendung Trost und Hoffnung trägt!
Du siehst uns an: wir alle stehn beklommen,
Obgleich dein Anblick unsre Seele regt:
Das schönste Glück, ach! wird uns weggenommen,
Von Sorgen sind wir und von Furcht bewegt.
Zur wicht'gen Stunde nehmen unsre Mauern
Dich Fremden auf, um auch mit uns zu trauern:
Denn ach! der Mann, der alle hier verbindet,
Den wir als Vater, Freund und Führer kennen,
Der Licht und Muth dem Leben angezündet,
In wenig Zeit wird er sich von uns trennen,
Er hat es erst vor kurzem selbst verkündet;
Doch will er weder Art noch Stunde nennen;
Und so ist uns sein ganz gewisses Scheiden
Geheimnißvoll und voller bittrer Leiden.
Du siehest alle hier mit grauen Haaren,
Wie die Natur uns selbst zur Ruhe wies:
Wir nahmen keinen auf, den, jung an Jahren,
Sein Herz zu früh der Welt entsagen hieß.
Nachdem wir Lebenslust und Last erfahren,
Der Wind nicht mehr in unsre Segel blies,
War uns erlaubt, mit Ehren hier zu landen,
Getrost, daß wir den sichern Hafen fanden.
Dem edeln Manne, der uns hergeleitet,
Wohnt Friede Gottes in der Brust;
Ich hab' ihn auf des Lebens Pfad begleitet,
Und bin mir alter Zeiten wohl bewußt;
Die Stunden, da er einsam sich bereitet,
Verkünden uns den nahenden Verlust.
Was ist der Mensch, warum kann er sein Leben
Umsonst, und nicht für einen Bessern geben?
Dieß wäre nun mein einziges Verlangen!
Warum muß ich des Wunsches mich entschlagen?
Wie viele sind schon vor mir hingegangen!
Nur ihn muß ich am bittersten beklagen.
Wie hätt' er sonst so freundlich dich empfangen!
Allein er hat das Haus uns übertragen;
Zwar keinen noch zum Folger sich ernennet,
Doch lebt er schon im Geist von uns getrennet.
Und kommt nur täglich eine kleine Stunde,
Erzählet, und ist mehr als sonst gerührt:
Wir hören dann aus seinem eignen Munde,
Wie wunderbar die Vorsicht ihn geführt;
Wir merken auf, damit die sichre Kunde
Im Kleinsten auch die Nachwelt nicht verliert;
Auch sorgen wir, daß einer fleißig schreibe,
Und sein Gedächtniß rein und wahrhaft bleibe.
Zwar vieles wollt' ich lieber selbst erzählen,
Als ich jetzt nur zu hören stille bin;
Der kleinste Umstand sollte mir nicht fehlen,
Noch hab' ich alles lebhaft in dem Sinn;
Ich höre zu, und kann es kaum verhehlen,
Daß ich nicht stets damit zufrieden bin:
Sprech' ich einmal von allen diesen Dingen,
Sie sollen prächtiger aus meinem Munde klingen.
Als dritter Mann erzählt' ich mehr und freier
Wie ihn ein Geist der Mutter früh verhieß,
Und wie ein Stern bei seiner Taufefeier
Sich glänzender am Abendhimmel wies,
Und wie mit weiten Fittigen ein Geier
Im Hofe sich bei Tauben niederließ;
Nicht grimmig stoßend, und wie sonst zu schaden,
Er schien sie sanft zur Einigkeit zu laden.
Dann hat er uns bescheidentlich verschwiegen,
Wie er als Kind die Otter überwand,
Die er um seiner Schwester Arm sich schmiegen,
Um die Entschlaf'ne fest gewunden fand.
Die Amme floh, und ließ den Säugling liegen;
Er drosselte den Wurm mit sich'rer Hand:
Die Mutter kam, und sah mit Freudebeben
Des Sohnes Thaten und der Tochter Leben.
Und so verschwieg er auch, daß eine Quelle
Vor seinem Schwert aus trocknem Felsen sprang,
Stark, wie ein Bach, sich mit bewegter Welle
Den Berg hinab bis in die Tiefe schlang:
Noch quillt sie fort so rasch, so silberhelle,
Als sie zuerst sich ihm entgegen drang,
Und die Gefährten, die das Wunder schauten,
Den heißen Durst zu stillen kaum getrauten.
Wenn einen Menschen die Natur erhoben,
Ist es kein Wunder, wenn ihm viel gelingt;
Man muß in ihm die Macht des Schöpfers loben,
Der schwachen Thon zu solcher Ehre bringt:
Doch, wenn ein Mann von allen Lebensproben
Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt:
Dann kann man ihn mit Freuden Andern zeigen,
Und sagen: das ist er, das ist sein eigen!
Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite,
Zu leben und zu wirken hier und dort;
Dagegen engt und hemmt von jeder Seite
Der Strom der Welt, und reißt uns mit sich fort:
In diesem innern Sturm und äußern Streite
Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.
Wie frühe war es, daß sein Herz ihn lehrte,
Was ich bei ihm kaum Tugend nennen darf;
Daß er des Vaters strenges Wort verehrte,
Und willig war, wenn jener rauh und scharf
Der Jugend freie Zeit mit Dienst beschwerte,
Dem sich der Sohn mit Freuden unterwarf,
Wie, alternlos und irrend, wohl ein Knabe
Aus Noth es thut um eine kleine Gabe.
Die Streiter mußt' er in das Feld begleiten,
Zuerst zu Fuß bei Sturm und Sonnenschein,
Die Pferde warten und den Tisch bereiten,
Und jedem alten Krieger dienstbar seyn.
Gern und geschwind lief er zu allen Zeiten
Bei Tag und Nacht als Bote durch den Hain,
Und so gewohnt, für Andre nur zu leben,
Schien Mühe nur ihm Fröhlichkeit zu geben.
Wie er im Streit mit kühnem, muntern Wesen
Die Pfeile las, die er am Boden fand,
Eilt' er hernach, die Kräuter selbst zu lesen,
Mit denen er Verwundete verband:
Was er berührte, mußte gleich genesen,
Es freute sich der Kranke seiner Hand:
Wer wollt' ihn nicht mit Fröhlichkeit betrachten?
Und nur der Vater schien nicht sein zu achten.
Leicht, wie ein segelnd Schiff, das keine Schwere
Der Ladung fühlt, und eilt von Port zu Port,
Trug er die Last der älterlichen Lehre,
Gehorsam war ihr erst und letztes Wort;
Und wie den Knaben Lust, den Jüngling Ehre,
So zog ihn nur der fremde Wille fort.
Der Vater sann umsonst auf neue Proben,
Und wenn er fordern wollte, mußt' er loben.
Zuletzt gab sich auch dieser überwunden,
Bekannte thätig seines Sohnes Werth;
Die Rauhigkeit des Alten war verschwunden,
Er schenkt' auf einmal ihm ein köstlich Pferd;
Der Jüngling ward vom kleinen Dienst entbunden,
Er führte statt des kurzen Dolchs ein Schwert:
Und so trat er geprüft in einen Orden,
Zu dem er durch Geburt berechtigt worden.
So könnt' ich dir noch Tage lang berichten,
Was jeden Hörer in Erstaunen setzt;
Sein Leben wird den köstlichsten Geschichten
Gewiß dereinst von Enkeln gleich gesetzt:
Was dem Gemüth in Fabeln und Gedichten
Unglaublich scheint, und es doch hoch ergetzt,
Vernimmt es hier, und mag sich gern bequemen,
Zwiefach erfreut, für wahr es anzunehmen.
Und fragst du mich, wie der Erwählte heiße,
Den sich das Aug' der Vorsicht ausersah,
Den ich zwar oft, doch nie genugsam preise,
An dem so viel Unglaubliches geschah?
Humanus heißt der Heilige, der Weise,
Der beste Mann, den ich mit Augen sah:
Und sein Geschlecht, wie es die Fürsten nennen,
Sollst du zugleich mit seinen Ahnen kennen.
Der Alte sprach's, und hätte mehr gesprochen;
Denn er war ganz der Wunderdinge voll,
Und wir ergetzten uns noch manche Wochen
An allem, was er uns erzählen soll;
Doch eben ward sein Reden unterbrochen,
Als gegen seinen Gast das Herz am stärksten quoll.
Die andern Brüder gingen bald und kamen,
Bis sie das Wort ihm von dem Munde nahmen.
Und da nun Markus nach genoss'nem Mahle
Dem Herrn und seinen Wirthen sich geneigt,
Erbat er sich noch eine reine Schale
Voll Wasser, und auch die ward ihm gereicht.
Dann führten sie ihn zu dem großen Saale,
Worin sich ihm ein seltner Anblick zeigt'.
Was er dort sah, soll nicht verborgen bleiben,
Ich will es euch gewissenhaft beschreiben.
Kein Schmuck war hier, die Augen zu verblenden,
Ein kühnes Kreuzgewölbe stieg empor,
Und dreizehn Stühle sah er an den Wänden
Umher geordnet, wie im frommen Chor,
Gar zierlich ausgeschnitzt von klugen Händen;
Es stand ein kleiner Pult an jedem vor.
Man fühlte hier der Andacht sich ergeben,
Und Lebensruh' und ein gesellig Leben.
Zu Häupten sah er dreizehn Schilde hangen;
Denn jedem Stuhl war eines zugezählt;
Sie schienen hier nicht ahnenstolz zu prangen,
Ein jedes schien bedeutend und gewählt,
Und Bruder Markus brannte vor Verlangen,
Zu wissen, was so manches Bild verhehlt;
Im mittelsten erblickt er jenes Zeichen
Zum zweiten Mahl, ein Kreuz mit Rosenzweigen.
Die Seele kann sich hier gar Vieles bilden,
Ein Gegenstand zieht von dem andern fort;
Und Helme hängen über manchen Schilden,
Auch Schwert und Lanze sieht man hier und dort,
Die Waffen, wie man sie von Schlachtgefilden
Auflesen kann, verzieren diesen Ort:
Hier Fahnen und Gewehre fremder Lande,
Und, seh' ich recht, auch Ketten dort und Bande!
Ein jeder sinkt vor seinem Stuhle nieder,
Schlägt auf die Brust in still Gebet gekehrt;
Von ihren Lippen tönen kurze Lieder,
In denen sich andächt'ge Freude nährt;
Dann segnen sich die treu verbundnen Brüder
Zum kurzen Schlaf, den Fantasie nicht stört:
Nur Markus bleibt, indem die Andern gehen,
Mit Einigen im Saale schauend stehen.
So müd' er ist, wünscht er noch fort zu wachen;
Denn kräftig reizt ihn manch und manches Bild:
Hier sieht er einen feuerfarbnen Drachen,
Der seinen Durst in wilden Flammen stillt;
Hier einen Arm in eines Bären Rachen,
Von dem das Blut in heißen Strömen quillt!
Die beiden Schilder hingen gleicher Weite
Beim Rosenkreuz zur recht - und linken Seite.
Du kommst hierher auf wunderbaren Pfaden,
Spricht ihn der Alte wieder freundlich an;
Laß diese Bilder dich zu bleiben laden,
Bis du erfährst, was mancher Held gethan.
Was hier verborgen, ist nicht zu errathen,
Man zeige denn es dir vertraulich an;
Du ahnest wohl, wie Manches hier gelitten,
Gelebt, verloren ward, und was erstritten.
Doch glaube nicht, daß nur von alten Zeiten
Der Greis erzählt, hier geht noch Manches vor;
Das, was du siehst, will mehr und mehr bedeuten;
Ein Teppich deckt es bald und bald ein Flor.
Geliebt es dir, so magst du dich bereiten:
Du kamst, o Freund, nur erst durch's erste Thor;
Im Vorhof bist du freundlich aufgenommen,
Und scheinst mir werth ins Innerste zu kommen.
Nach kurzem Schlaf in einer stillen Zelle
Weckt unsern Freund ein dumpfer Glockenton.
Er rafft sich auf mit unverdross' ner Schnelle,
Dem Ruf der Andacht folgt der Himmelssohn.
Geschwind bekleidet eilt er nach der Schwelle,
Es eilt sein Herz voraus der Kirche schon,
Gehorsam, ruhig, durch Gebet beflügelt;
Er klinkt am Schloß, und findet es verriegelt.
Und wie er horcht, so wird in gleichen Zeiten
Drei Mahl ein Schlag auf hohles Erz erneut,
Nicht Schlag der Uhr und auch nicht Glockenläuten,
Ein Flötenton mischt sich von Zeit zu Zeit;
Der Schall, der seltsam ist und schwer zu deuten,
Bewegt sich so, daß er das Herz erfreut,
Einladend ernst, als wenn sich mit Gesängen
Zufriedne Paare durch einander schlängen.
Er eilt ans Fenster, dort vielleicht zu schauen,
Was ihn verwirrt und wunderbar ergreift;
Er sieht den Tag im fernen Osten grauen,
Den Horizont mit leichtem Duft gestreift.
Und - soll er wirklich seinen Augen trauen? -
Ein seltsam Licht, das durch den Garten schweift:
Drei Jünglinge mit Fackeln in den Händen
Sieht er sich eilend durch die Gänge wenden.
Er sieht genau die weißen Kleider glänzen,
Die ihnen knapp und wohl am Leibe stehn,
Ihr lockig Haupt kann er mit Blumenkränzen,
Mit Rosen ihren Gurt umwunden sehn;
Es scheint, als kämen sie von nächt'gen Tänzen,
Von froher Mühe recht erquickt und schön.
Sie eilen nun, und löschen wie die Sterne,
Die Fackeln aus, und schwinden in die Ferne.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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