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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Die erste Walpurgis-Nacht
Ein Druide.
Es lacht der Mai!
Der Wald ist frei
Von Eis und Reifgehänge.
Der Schnee ist fort;
Am grünen Ort
Erschallen Luftgesänge.
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh';
Doch eilen wir nach oben,
Begehn den alten, heil'gen Brauch,
Allvater dort zu loben.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
So wird das Herz erhoben.
Die Druiden.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
Begeht den alten, heil'gen Brauch,
Allvater dort zu loben!
Hinauf! hinauf nach oben!
Einer aus dem Volke.
Könnt ihr so verwegen handeln?
Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
Kennet ihr nicht die Gesetze
Unsrer harten Ueberwinder?
Rings gestellt sind ihre Netze
Auf die Heiden, auf die Sünder.
Ach! sie schlachten auf dem Walle
Unsre Weiber, unsre Kinder,
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.
Chor der Weiber.
Auf des Lagers hohem Walle
Schlachten sie schon unsre Kinder.
Ach! die strengen Ueberwinder!
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.
Ein Druide.
Wer Opfer heut
Zu bringen scheut,
Verdient erst seine Bande.
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
Und schichtet es zum Brande!
Doch bleiben wir
Im Busch-Revier
Am Tage noch im Stillen,
Und Männer stellen wir zu Huth,
Um eurer Sorge willen.
Dann aber laßt, mit frischem Muth,
Uns unsre Pflicht erfüllen.
Chor der Wächter.
Vertheilt euch, wackre Männer, hier
Durch dieses ganze Wald - Revier,
Und wachet hier im Stillen,
Wenn sie die Pflicht erfüllen.
Ein Wächter.
Diese dumpfen Pfaffen - Christen,
Laßt uns keck sie überlisten!
Mit dem Teufel, den sie fabeln,
Wollen wir sie selbst erschrecken.
Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln,
Und mit Gluth und Klapperstöcken
Lärmen wir bei nächt'ger Weile
Durch die engen Felsenstrecken.
Kautz und Eule
Heul' in unser Rundgeheule.
Chor der Wächter.
Kommt mit Zacken und mit Gabeln,
Wie der Teufel, den sie fabeln,
Und mit wilden Klapperstöcken,
Durch die leeren Felsenstrecken!
Kautz und Eule
Heul' in unfer Rundgeheule.
Ein Druide.
So weit gebracht,
Daß wir bei Nacht
Allvater heimlich singen!
Doch ist es Tag,
So bald man mag
Ein reines Herz dir bringen.
Du kannst zwar heut,
Und manche Zeit,
Dem Feinde viel erlauben.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinig' unsern Glauben;
Und raubt man uns den alten Brauch;
Dein Licht, wer will es rauben!
Ein christlicher Wächter.
Hilf, ach hilf mir, Kriegsgeselle!
Ach, es kommt die ganze Hölle!
Sieh, wie die verherten Leiber
Durch und durch von Flamme glühen!
Menschen - Wölf' und Drachen - Weiber,
Die im Flug vorüber ziehen!
Welch entsetzliches Getöse!
Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
Oben flammt und saust der Böse;
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden.
Chor der christlichen Wächter.
Schreckliche, verherte Leiber,
Menschen - Wölf' und Drachen - Weiber!
Welch entsetzliches Getöse!
Sieh! da flammt, da zieht der Böse!
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden.
Chor der Druiden.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinig' unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch;
Dein Licht, wer kann es rauben!
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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