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Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
. 1825
Dauer im Wechsel
Hielte diesen frühen Segen
Auch nur Eine Stunde fest!
Aber vollen Blüthenregen
Schüttelt schon der laue West.
Soll ich mich des Grünen freuen?
Dem ich Schatten erst verdankt;
Bald wird Sturm auch das zerstreuen,
Wenn es falb im Herbst geschwankt.
Willst du nach den Früchten greifen;
Eilig nimm dein Theil davon!
Diese fangen an zu reifen
Und die andern keimen schon;
Gleich, mit jedem Regengusse,
Aendert sich dein holdes Thal,
Ach! und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweiten Mahl.
Du nun selbst! Was felsenfeste
Sich vor dir hervor gethan,
Mauern siehst du, siehst Palläste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fuß, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche maß.
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte wohlzuthun,
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich, an jener Stelle,
Nun mit deinem Namen nennt,
Kam herbei, wie eine Welle,
Und so eilt's zum Element.
Laß den Anfang mit dem Ende
Sich in Eins zusammen ziehn!
Schneller als die Gegenstände
Selber dich vorüber fliehn.
Danke, daß die Gunst der Musen
Unvergängliches verheißt,
Den Gehalt in deinem Busen
Und die Form in deinem Geist.
Johann
Wolfgang von Goethe . 1749 - 1832
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