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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Leviathan

                              Du zertrennest das Meer durch deine Kraft, und
                              zerbrichst die Köpfe der Drachen im Wasser.
                              Du zerschlägest die Köpfe der Wallfische, und giebst
                              sie zur Speise dem Volk in der Einöde.
                                                                            Psalm 74.


An einem Tag im frühen Herbst ging ich entlang den Meeresstrand,
Das Haupt entblößt, den Blick gesenkt, die Lieder Davids in der Hand.
Die See ging hoch, die Brandung schwoll, der frische Wind aus Osten pfiff.
Am Horizont nach Westen flog mit weißem Segelwerk ein Schiff.

Und als ich in dem Liederbuch des Königs über Israel,
Bald um mich schauend, blätternd bald, gekommen war bis an die Stell',
Die über diesem Lied ihr les't, da naheten dem öden Strand
Die grauen Segel eingerefft, drei Fischerboote, wohlbemannt.

Und hinter ihnen, aus der Flut, der weißen, tauchend schwärzlichgrau,
Schwamm riesengroß ein Ungethüm; sie schleppten es an einem Tau.
Die Brandung grollt; laut kracht der Mast, den Anker wirft der Harpunier -
Am Ufer auf dem Trocknen ruhn die Fischerboote sammt dem Thier!

Und jetzt in Zügen auf den Ruf der Gatten und der Brüder naht
Der Oede Volk, das jubelnde, aus seinen Hütten am Gestad.
Sie sehn den Sohn des Oceans, den Leib vom Eisen aufgeschlitzt:
Zerschmettert sehen sie das Haupt, das fortan keine Strahlen spritzt.

Vor wenig Jahren erst gebar den Triefenden der kalte Pol;
Ein Neuling noch, verirrt' er sich zu dieser seichten Küste wohl.
Untief' und Bank versperrten ihm den Rückweg in das hohe Meer;
Des jungen Riesen Kopf zerbrach der Herr durch eines Fischers Speer. -

Und Jene tanzten jauchzend um den Blutenden; mir aber war,
Als glotzt' er halbgeschlossnen Aug's verächtlich auf die rohe Schaar.
Mir war, als rauschte zürnend mir sein purpurroth verrieselnd Blut.
Als murrt' er röchelnd in den Sturm: "O miserable Menschenbrut!

O Zwerge, die den Riesen ihr bezwungen habt durch schnöde List!
O Zappler auf dem Trocknen ihr, die mein Gebiet ihr meiden müßt!
Schwächlinge, die das Meer ihr nur in hohlem Boot befahren könnt,
Dem jämmerlichen Schalthier gleich, das nie sich von der Muschel trennt!

O kahler Strand, o nüchterner! o kahl und nüchtern Treiben drauf!
O nüchtern Volk! wie bebten sie, da sie vernahmen mein Geschnauf!
Wie trostlos auf der Dün' ihr Dorf mit seinen dumpfen Hütten steht!
Und - bist du besser denn, als sie, der du mich sterben siehst, Poet?

Ich wollt', ich wäre, wo das Meer, und wo die Welt ein Ende nimmt;
Wo krachend in der Finsterniß der Eispalast des Winters schwimmt.
Ich wollt', ein Schwertfisch wetzte dort am Eis sein Schwert, und stieße mir
Das jäh gezuckte durch die Brust; so stürb' ich wenigstens nicht hier!"

Es war ein Tag im frühen Herbst; die See ging hoch, der Ostwind pfiff,
Am Horizont nach Westen flog mit weißem Segelwerk ein Schiff.
Ich aber wandte meinen Schritt; ich warf mich nieder auf die Dün'.
Der Herr zerbrach des Wallfischs Haupt, und gab dem Volk der Oede ihn.


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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