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Ferdinand Freiligrath
Gedichte . 1848



Der Divan der Ereignisse

1833.

O, Männer meines Stamms! ich sah die großen Städte!
Ich trat in die Moskeen von Alexandria,
Ich salbte meinen Bart in Suez und Rosette,
Ich stand auf dem Bazar der Nilstadt Damiette;
Mit diesem Dromedar durchzog ich Kahira,

Die weitgedehnte Stadt mit ihren engen Gassen,
Wo Franken, Araber und Habessinier gehn;
Kaum sind sie breit genug, ein Lastkameel zu fassen;
Auf Polstern in der Thür, bei vollen Kaffeetassen,
Kann man aus langem Rohr die Städter rauchen sehn,

Schweigsam und ernst. Ihr Haupt, von dem gefärbten Leinen
Des Turbans eingehüllt, umwallt der krause Rauch.
Mit weißem Rande, voll von wunderlichen, kleinen
Schriftzeichen, liegt ein Blatt auf den gekreuzten Beinen,
Und auf dem Blatte weilt ihr dunkelbraunes Aug'.

Ich bin ein Araber; mein Kleid ist nicht von Seide,
Doch feurig ist mein Pferd, und seine Mähn' ist glatt.
Mein graues Zelt ist kühl; es fehlt mir nicht an Weide;
Ich bin den Städtern gleich, und wenn ich sie beneide,
Bei meinem Bart! so ist es nur um jenes Blatt!

Denn - tretet näher her, o meine Stammgenossen!
An meine Lippen sei gefesselt euer Ohr!
Ich weiß, ihr glaubt mir kaum! ihr bliebt bei euren Rossen;
Ihr saht die Städte nicht, die Welt blieb euch verschlossen,
Und meine Rede kommt euch wie ein Mährchen vor! -

Denn dies ist nicht ein Blatt, wie es mit Koran-Suren
Der weise Iman füllt auf seinem Schreibebrett.
Es meldet, was geschieht; es folgt der Heere Spuren;
Es trägt von Koniah bis nach des Delta's Fluren
Die Thaten Ibrahims, des Sohnes Mehemed.

Des Nizam Dschedids Ruhm wird treu von ihm beschrieben;
Die Führer stellt es dar, gebietend, ernsten Blicks;
Die Rotten mustert es; es weiß, von wie viel Hieben
Ein Türkenfeldherr sank; es meldet, wer geblieben;
Es nennt die Namen der erkämpften Paschaliks. -

Was gestern dort geschah, erzählt es hier schon heute;
Es murmelt durch die Stadt, wie durch den Sand ein Bach.
Heut spricht es von der Schlacht, und morgen von der Beute;
Und daß nicht Einen nur, nein! daß es alle Leute
Belehre, zeigt es sich mehr denn zehntausendfach.

So will es Mehemed! In einem Steingebäude
Wird es - geschrieben nicht; man sagt, es wird gedruckt.
Fliegt eines Schreibers Hand so schnell? Traut meinem Eide:
Zu Schocken liegt es da, geschwinder, als der Scheide
Vor euren Augen jetzt mein scharfer Dolch entzuckt.

Fragt nicht, wie es geschieht! - Wer selbst in keiner Schmiede
Den Säbel schmieden sah, versteht die Rede nicht
Deß, der es ihm beschreibt. - Auch bin ich warm und müde;
Drum wisset einzig noch, daß eine Pyramide
Die Stirn des Blattes ziert, ein Sinnbild ernst und schlicht.

Ein junger Palmbaum sproßt empor an ihrer Seite,
Und hinter ihnen geht die Sonne strahlend auf.
O, Männer meines Stamms! wer deuten kann, der deute!
Und wer da schauen will, der gürte sich, und reite,
Und lenke nach dem Nil des Dromedares Lauf;

Und suche dort das Haus, von dem er eben hörte;
Es wird der Divan der Ereignisse genannt. -
Fürwahr, ich bin nicht reich! doch, wer mich lesen lehrte,
Und brächte mir das Blatt, so oft ich es begehrte -
Geöffnet wäre dem mein Zelt und meine Hand!


  Ferdinand Freiligrath . 1810 - 1876






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Der Divan der Ereignisse, Ferdinand Freiligrath