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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Gottfried August Bürger
Gedichte . 1789



Die Nachtfeyer der Venus

Nach dem Lateinischen.

I.
Vorgesang.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!
Unter frohen Melodieen
Ist der junge Lenz erwacht.
Seht, wie Stirn' und Wang' ihm glühen,
Wie sein helles Auge lacht!
Ueber Saat und Kräuterrasen,
Hain und Garten schwebet er.
Sanfte Schmeichellüftchen blasen
Wohlgerüche vor ihm her.

Segenvolle Wolken streuen
Warme Tropfen auf die Flur,
Labsal, Nahrung und Gedeihen
Jedem Kinde der Natur.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Lieb' und Gegenliebe paaret
Dieses Gottes Freundlichkeit,
Und sein Süßestes versparet
Jedes Thier auf diese Zeit.
Wann das Laub ihr Nest umschattet,
Paaren alle Vögel sich.
Was da lebet, das begattet
Um die Zeit der Blüthe sich.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Wonneseliger und röther
Bricht uns dieser Morgen an,
Als der Bräutliche, da Aether
Mutter Tellus liebgewann;

Da ihr Schooß vom Himmelsgatten
Floren und den Lenz empfing,
Und des ersten Haines Schatten
Um die Neugebohrnen hing.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Als der erste Frühling blühte,
Wand, erzeugt aus Kronus Blut,
Wand sich Venus Aphrodite,
Bey gelinder Wogenflut,
Wunderlieblich aus des grauen
Oceans geheimen Schooß,
Angestaunet von den blauen
Wasserungeheuern, los.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!


2.
Weyhgesang.

Stimmt, zu Aphroditens Feyer,
Stimmt ihn an, den Weyhgesang!
Töne d'rein, gewölbte Leyer!
Hall' am Felsen, Wiederklang!
Morgen ziehen ihre Tauben
Sie herab in unsern Hain;
Morgen, unter Myrthenlauben,
Ladet sie zu Tänzen ein;
Morgen winkt vom hohen Throne
Uns ihr goldner Richterstab,
Und sie spricht, zu Straf' und Lohne,
Gütevolles Recht herab.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Eilt, den Thron ihr zu erheben!
Froh vollbringet ihr Gebot!
Flora soll ihn überweben,
Golden, blau und purpurroth.
Spend', o Flora, jede Blume,
Die im bunten Enna lacht!
Flora, zu der Holden Ruhme,
Spende deine ganze Pracht!

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Sie wird thronen; wir Geweyhte
Werden tief ihr huldigen.
Amor thronet ihr zur Seite,
Samt den holden Grazien.
Alle Nymphen sind geladen.
Nymphen aus Gefild' und Hain,
Oreaden und Najaden
Werden hier versammelt seyn.
Alle sind herbey gerufen,
Vor der Göttinn Angesicht;
Mit zu sitzen auf den Stufen
Zu dem hohen Throngericht.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Schon durchwallt die frohen Haine
Die berufne Nymphenschaar.
Amor flattert mit; doch Keine
Naht sich ihm und der Gefahr. -
Nymphen, die sein Köcher schreckte,
Wißt ihr nicht, was ihm geschehn,
Daß er heut die Waffen streckte,
Daß er heut muß wehrlos gehn? -
Unverbrüchliche Gesetze
Wollen, daß sein Bogen heut
Keiner Nymphe Brust verletze. -
Aber, Nymphen, scheut, o scheut
Ihn auch nackt! Er überlistet,
Er verletzt euch Mädchen doch!
Denn den Waffenlosen rüstet
Seine ganze Schönheit noch.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Nymphen, rein wie du an Sitte,
Sendet, keusche Delia,
Sendet dir mit sanfter Bitte
Venus Amathusia:
Morgen triefe dieß Gesträuche
Von des Wildes Blute nicht!
Deines Hornes Klang verscheuche
Dieses Haines Vögel nicht!
Selber wäre sie erschienen,
Selber hätte sie gefleht,
Doch sie scheute deiner Mienen,
Deines Ernstes Majestät.
Weich' aus unserm Feyerhaine!
Venus Amathusia
Walte morgen hier alleine!
Weich', o keusche Delia!

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Dich auch lüd' in diese Haine
Traulich unsre Göttinn ein,
Ziemt' es dir, o Keusche, Reine,
Unsrer Lust so nah' zu seyn.
Ha! Du solltest Jubel hören!
Hören Sang und Zymbelklang!
Solltest uns in Taumelchören
Schwärmen sehn drey Nächte lang;
Solltest bald in Wirbelreigen
Uns um rasche Nymphen drehn,
Bald, zu Paaren unter Zweigen,
Süßer Ruhe pflegen sehn.
Auch der Held, der fern am Indus,
Vom bezähmten Pardel stritt,
Ceres und der Gott vom Pindus
Freu'n sich unsrer Freuden mit.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!


3.
Lobgesang.

Heller glänzt Aurorens Schleyer.
Auf! Beginnt den Lobgesang!
Töne d'rein, geweyhte Leyer!
Hall' am Felsen, Wiederklang!
Aphroditens Hauch durchdringet,
Bis zur Gränze der Natur,
Wo die letzte Sphäre klinget,
Alle Pulse der Natur.
Sie befruchtet Land und Meere,
Sie das weite Luftrevier.
Wie sie zeuge, wie gebäre,
Weiß die Kreatur von ihr.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Wie mit Perl' und Edelsteine,
Schmückt sie bräutlich unsre Welt;
Streuet Blüthen auf die Haine,
Blumen über Wies' und Feld.
Sie enthüllt die Anemonen,
Schließt den goldnen Krokus auf;
Setzet die azurnen Kronen
Prangenden Cyanen auf.
Den Päonien entfaltet
Sie das purpurne Gewand;
Wie der Mädchen Busen, spaltet
Junge Rosen ihre Hand.
Ichor ihrer Dornenwunde
Färbt' einst ihren Silberschein,
Und ein Hauch aus ihrem Munde
Strömte Wohlgeruch hinein.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Liebe segnet die Gefilde,
Und beseliget den Hain;
Liebe floßt dem rauhen Wilde
Wonnigliche Regung ein.
Gatten um die Gatten hüpfen
Rüstig durch den Wiesengrund.
Aphroditens Hände knüpfen
Ihren süßen Liebesbund.
Alte Sage bringt zu Ohren:
Daß sie auf der Hirtenflur
Selber einst den Sohn gebohren,
Den Beherrscher der Natur.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Sie entriß Anchisens Laren
Dem entstammten Ilion,
Und aus tausend Meergefahren
Den verfolgten biedern Sohn.
Sie schlang um die Hand Aeneens
Und Laviniens ihr Band,
Und die keusche Zone Rheens
Löste sie durch Mavors Hand.
Sie vermählte Romuls Diener,
Halb durch List und halb durch Macht,
Mit den Töchtern der Sabiner.
Aus der Saat der ersten Nacht
Keimten großer Thaten Thäter,
Wunder für der Nachwelt Ohr,
Und die edlen weisen Väter
Ihres Vaterlands empor.

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

Schall', o Maygesang, erschalle!
Töne, Cypris Hochgesang!
Hört ihr? Singen ihr nicht alle
Fluren, alle Wälder Dank?
Von dem Anger tönt das laute
Lustgebrüll der Heerden ihr.
Aus Gesträuche, Gras und Kraute
Summt sein Lied das Würmchen ihr.
Ihr nur schnattert das Gefieder
Von den Teichen Dank empor;
Und der edlern Vögel Lieder
Sind ein Opfer ihrem Ohr.
Horcht! Es wirbelt Philomele
Tief aus Pappelweiden d'rein.
Liebe seufzet ihre Kehle;
O wie könnt' es Klage seyn?
Nicht um Tereus Grausamkeiten
Wimmert Prognens Schwester mehr.
Soll ich nicht ihr Lied begleiten?
Stimmet mich kein Frühling mehr?
Ha, erwachte nicht im Lenze
Meine Brust zu Lieb' und Sang,
So entwelkten mir die Kränze,
Die um's Haupt mir Phöbus schlang.
Phöbus Huld müßt' ich entbehren;
Stimm' und Laute nähm' er mir:
Säng' ich, May, nicht dir zu Ehren,
Nicht zu Ehren, Liebe, dir.
Darum werde, wann die Schwalbe
Singend ihre Wohnung baut,
Werd', o Sang, gleichwie die Schwalbe,
Nach der Winterstille laut!

Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!


  Gottfried August Bürger . 1747 - 1794






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