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Gottfried August Bürger 
 
Gedichte
. 1789 
 
 
 
Das harte Mädchen 
Ich sah so frey und wonnereich 
Einst meine Tag' entschlüpfen, 
Wie Vögelchen, von Zweig auf Zweig, 
Beym Morgenliede hüpfen. 
 
Fragt jeden Sommerwind, der hier 
Die Blumenau erfrischet: 
Ob je ein Seufzer sich von mir 
In seinen Hauch gemischet? 
 
Fragt nur den stillen Bach im Klee: 
Ob er mich klagen hörte? 
Und ob von mir ein Thränchen je 
Die kleinen Wellen mehrte? 
 
Mein Auge schaute falkenhell, 
Durch meilenlange Räume. 
Wie Gems und Eichhorn, sprang ich schnell 
Auf Felsen und auf Bäume. 
 
So bald ich auf mein Lager sank, 
Entschlief ich ungestöret. 
Des Wächters Horn und Nachtgesang 
Hat nie mein Ohr gehöret. 
 
Nun aber sind mir Lust und Scherz 
Und Muth und Kraft vergangen. 
Ein hartes Mädchen hält mein Herz, 
Mein armes Herz gefangen. 
 
Nun hauch' ich meine Seele schier 
Erseufzend in die Winde, 
Und girre kläglich hin nach ihr, 
Gleich einem kranken Kinde. 
 
Nun müssen Bach und Klee genung 
Verliebter Zähren saugen, 
Und graue Nebeldämmerung 
Umwölkt die muntern Augen. 
 
Nun härm' ich ganze Nächte lang, 
Auf schlummerlosem Lager, 
Die leichten Glieder matt und krank, 
Die vollen Wangen hager. 
 
An meinem Leben nagt die Wuth 
Grausamer Seelengeyer; 
Nagt Eifersucht auf fremde Gluth, 
Nagt mein verschmähtes Feuer. 
 
Das harte Mädchen sieht den Schmerz, 
Und mehrt ihn dennoch stündlich. 
O Liebe, kennst du noch ein Herz, 
Wie dieses, unempfindlich? - 
 
Ein einzig Lächeln voller Huld 
Würd' allen Kummer lindern, 
Und ihre nicht erkannte Schuld 
Bald tilgen, oder mindern. 
 
Mich weckte wohl ihr süßer Ton 
Noch aus dem Grabe wieder; 
Ja, wär' ich auch im Himmel schon, 
Er lockte mich hernieder.
 
 
 
 
Gottfried
August Bürger . 1747 - 1794 
 
 
  
 
 
 
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