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Gottfried August Bürger 
 
Gedichte
. 1789 
 
 
 
Das Blümchen Wunderhold 
Es blüht ein Blümchen irgend wo 
In einem stillen Thal. 
Das schmeichelt Aug' und Herz so froh, 
Wie Abendsonnenstrahl. 
Das ist viel köstlicher, als Gold, 
Als Perl' und Diamant. 
Drum wird es "Blümchen Wunderhold" 
Mit gutem Fug genannt. 
 
Wohl sänge sich ein langes Lied 
Von meines Blümchens Kraft; 
Wie es am Leib' und am Gemüth 
So hohe Wunder schafft. 
Was kein geheimes Elixir 
Dir sonst gewähren kann, 
Das leistet traun! mein Blümchen dir. 
Man säh' es ihm nicht an. 
 
Wer Wunderhold im Busen hegt, 
Wird wie ein Engel schön. 
Das hab' ich, inniglich bewegt, 
An Mann und Weib gesehn. 
An Mann und Weib, alt oder jung, 
Zieht's, wie ein Talisman, 
Der schönsten Seelen Huldigung 
Unwiderstehlich an. 
 
Auf steifem Hals ein Strotzerhaupt, 
Deß Wangen hoch sich bläh'n, 
Deß Nase nur nach Aether schnaubt, 
Läßt doch gewiß nicht schön. 
Wenn irgend nun ein Rang, wenn Gold 
Zu steif den Hals dir gab, 
So schmeidigt ihn mein Wunderhold 
Und biegt dein Haupt herab. 
 
Es webet über dein Gesicht 
Der Anmuth Rosenflor; 
Und zieht des Auges grellem Licht 
Die Wimper mildernd vor. 
Es theilt der Flöte weichen Klang 
Des Schreyers Kehle mit, 
Und wandelt in Zefyrengang 
Des Stürmers Poltertritt. 
 
Der Laute gleicht des Menschen Herz, 
Zu Sang und Klang gebaut, 
Doch spielen sie oft Lust und Schmerz 
Zu stürmisch und zu laut: 
Der Schmerz, wann Ehre, Macht und Gold 
Vor deinen Wünschen fliehn, 
Und Lust, wann sie in deinen Sold 
Mit Siegeskränzen ziehn. 
 
O wie dann Wunderhold das Herz 
So mild und lieblich stimmt! 
Wie allgefällig Ernst und Scherz 
In seinem Zauber schwimmt! 
Wie man alsdann nichts thut und spricht, 
Drob Jemand zürnen kann! 
Das macht, man trotzt und strotzet nicht 
Und drängt sich nicht voran. 
 
O wie man dann so wohlgemuth, 
So friedlich lebt und webt! 
Wie um das Lager, wo man ruht, 
Der Schlaf so segnend schwebt! 
Denn Wunderhold hält alles fern, 
Was giftig beißt und sticht; 
Und stäch' ein Molch auch noch so gern, 
So kann und kann er nicht. 
 
Ich sing', o Lieber, glaub' es mir 
Nichts aus der Fabelwelt, 
Wenn gleich ein solches Wunder dir 
Fast hart zu glauben fällt. 
Mein Lied ist nur ein Wiederschein 
Der Himmelslieblichkeit, 
Die Wunderhold auf Groß und Klein 
In Thun und Wesen streut. 
 
Ach! hättest du nur die gekannt, 
Die einst mein Kleinod war - 
Der Tod entriß sie meiner Hand 
Hart hinterm Traualtar - 
Dann würdest du es ganz verstehn, 
Was Wunderhold vermag, 
Und in das Licht der Wahrheit sehn, 
Wie in den hellen Tag. 
 
Wohl hundertmahl verdankt' ich ihr 
Des Blümchens Segensflor. 
Sanft schob sie's in den Busen mir 
Zurück, wann ichs verlor. 
Jetzt rafft ein Geist der Ungeduld 
Es oft mir aus der Brust. 
Erst, wann ich büße meine Schuld, 
Bereu' ich den Verlust. 
 
O was des Blümchens Wunderkraft 
Am Leib' und am Gemüth 
Ihr, meiner Holdinn, einst verschafft, 
Faßt nicht das längste Lied! - 
Weil's mehr, als Seide, Perl' und Gold 
Der Schönheit Zier verleiht, 
So nenn' ichs "Blümchen Wunderhold" 
Sonst heißt's - Bescheidenheit.
 
 
 
 
Gottfried
August Bürger . 1747 - 1794 
 
 
  
 
 
 
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