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Gedichte, Lyrik, Poesie

Einsiedler und Genosse
162 Bücher



Bruno Wille
Einsiedler und Genosse . 1. Auflage 1890



Im Kiefernforste

                              "Ein Fremdling trat in meine Wohnung.
                              Ich reichte ihm die Hand;
                              Er setzte sich an meinen Herd und hielt
                              Die Stirne in den Händen
                              Und frug: "Hast du der Ochsen viel?"
                              Und seine Füße waren voll von Staub. -
                              Ich habe nicht gefragt: Von welchem Dorf bist du?
                              Er hatte seinen Sack zu mir dahingesetzt,
                              Und dieser Sack enthielt blos einen Stein."
                                           (Der Rhapsode der Dimbovitza.)

                              "Es zehrt
                              An aller Mark der Sünde fressend Feuer;
                              Ein jeder ist verschuldet jeder That,
                              Und jeder trägt auf seiner Seele ungeheuer,
                              Was jeder je an Schuld und Frevel that.
                              Ihr stoßt den Einen tief hinab in Nacht,
                              Den Andern hebet ihr empor zum Licht, -
                              Lehrt ihr die Blinden, was sie sehend macht?
                              Und trocknet ihr der Weinenden Gesicht?"
                                           Julius Hart.


I.
Versammlung.

Wie ruhevoll ist eure Versammlung
Braunhalsige Kiefern mit dunkelbuschigem Haar!
Ihr schweiget, weil euch wohl ist
In träumerischem Frieden.
Erquickend kraftvoll duften eure Nadeln,
Dazu der violette Thymian,
Die struppigen Wachholderbüsche,
Die knabengleich bei Hochgewachsenen stehen.
Es ist so still, ich höre meinen Atem;
Ein kleiner Vogel nur schlüpft ziepend im Geäst,
Auf zarter Birke zirpt die Grille leise,
Und wenn der Wind sich sanft erhebt,
Durchwallt ein hauchend Sausen die Versammlung,
Und alle Kiefernhäupter nicken,
In würdevoller Eintracht sinnend. -

Ich weiß mir einen andern Wald;
Der wogt im mächtigen Saal; die Wipfel
Sind finstre Proletarierköpfe.
Die Leuchter an der Decke flammen trübe,
Von rauchig schwülem Dunste halb erstickt.
Nun schrillt die Glocke, stumm wird das Gebrause, -
Wie wenn ein Wald vor dem Gewitter schweigt!
Der Führer steht erhöht; wie schwarze Wolken
Ballt er Gedanken heiligen Zorns zusammen;
Und Spannung hält gefesselt die Gesichter,
Und Blitz auf Blitz durchzuckt die Männerherzen, -
Bis gleich dem Hagel wilder Beifall prasselt,
Und Rufen tönt und donnergleiches Grollen ...

O Sonne hinter den Kiefern,
Rotglühende Abendsonne!
Wie schwimmst du mit Entzücken
Im angestralten Himmelsteiche!
Du bist entzückt, weil du so schön
Den Himmel und das Land bestralst.
In tiefen, trunkenen Zügen
Und leise schwellend, saugst du
Den goldigroten Atem ein
Und hauchst ihn liebend
In langen Strahlen durch der Kiefern Gassen.
Da duften, überstäubt von Glanz, inbrünstig
Strohblume, Haidekraut und Thymian;
Voll Ehrfurcht steht der struppige Wachholder,
Die hochgewachsenen Kiefernstämme gleißen
Wie glühende Stangen, ihre Häupter starren
Andächtiglich mit staunendem Sausen
Hinein in des hehren Weltenfeuers
Blendend großen Tropfen ...

O Sonne, brich mit deiner Glut
Auch in den andern Wald,
Wirf deine Strahlen in Gesicht und Augen
Verhärmter Menschen,
Entzückend und erlösend!
Bald, o Sonne, bald!


II.
Arme Leute.

Bei düstern Haidekiefern
Stehn spärlich magre Ähren,
An dürrem Sande saugend,
Verzweifelnd, sich zu nähren.

Da kauert ein lehmig Häuschen
Mit Düngerhaufen und Karren;
Kläglich meckert die Ziege,
Und struppige Hühnchen scharren.

Aus der Thüre humpelt ein krummer
Kleinbauer, emporzuspähen
Zur bleiern schleichenden Wolke,
Zu hungrig krächzenden Krähen.

Nur karge Mitleidszähren
Vermag die Wolke zu schenken;
Dann schleicht sie trübe weiter,
Ohne Kraft zu tränken. -

Selber arm und traurig,
Folg ich der weinenden Wolke
Und denk an arme Leute
Und leide mit meinem Volke.


III.
"Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen."

Ich habe geträumt! - Noch pocht mein Herz
Von Gram und Grimm empört,
Und Thränen der Ohnmacht netzen mein Kissen.
Ich ward mishandelt unerhört! ...
Doch ruhig! Still! Es war ein Traum!

Wie dumpf die Stube! Der Mond scheint hell
Wie bläulich brennender Schwefel
Und tüncht an die kalkige Wand
Mein bäuerlich Fenster grell;
Im morschen Holzgetäfel
Pickt ein Wurm oder nagt ein Mäuschen;
Draußen pfaucht ein Käuzchen
Gedämpft im Kiefernforst ...

Was hab ich nur geträumt? -
Ich ward geknebelt von viehischen Schergen,
Vor raubtieräugige Richter geschleppt;
Die schrieen funkelnden Auges: "Schuldig!"
Eine Menschenmenge brüllte: "Schuldig!";
Es war eine ganze Welt.
Doch mein Herz schluchzte: "Nein!
Ich bin rein, wie Jesus rein!"
Und eine starke Stimme sprach:
"Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen!"
Und die Menge johlte: "Zu lebenslänglichem Galgen!"

Nun packten mich die Henkersknechte
Und schleiften mich zum Galgen;
Ich ward mit der Schlinge gewürgt;
Doch ohne zu sterben!
Und täglich sollt ich so
Den Galgen leiden, ohne zu sterben,
Im Herzen die Stimme der Unschuld. -

Sei ruhig, Herz, und poche nicht!
Zerblasen ist alle Gefahr;
Es war ein Schaum, ein Gaukeltraum! -
Ach wohl, es war Gedankenschaum,
Und doch - so bitterlich wahr!

Die Schergen, die Richter, die Henker, den Galgen,
Ich kenne sie insgesammt,
Kenne die Welt, die mich verdammt
Zum Galgen Zeit des Lebens.
Wie heißt der Galgen? Mangel, Not,
Sorge um Stube, Kleider und Brod,
Knechtung, Schmähung reinsten Strebens!
Verfluchte Welt, die mich umfängt,
Tagtäglich an den Galgen hängt,
Verfluchte Welt! ...

Auf! Hinaus! Ich halt es nicht aus
Auf dem Lager in dumpfiger Kammer,
In traumdurchdünsteter Folterkammer.
Hinaus in die nächtliche Landschaft! ...

Hu, wie glutig
Der Mond in zackiger Wolke rollt!
Gleich der Augenkugel blutig
Von feuerschwangrem Drachen
Mit aufgerissenem Rachen!
Das Auge blinzelt, scheint zu brechen,
Zwinkert dann mit tückischem Stechen,
Rollt wieder auf und glotzt mich drohend an.

Drache, nun erkenn' ich dich!
Du bist der Fürst der verhaßten Welt,
Die mich am Galgenstricke hält;
Und während Kröten und Unken
Heulten und schnurrten in Moor und Gaasen,
Hat dein zorngeblähter Bauch
Schwüler Träume giftigen Hauch
Mir ins Fenster geblasen ...

Ha, was seh ich!
Du hast dein Auge verloren,
Zackiger Drachenleib,
Und bist geschwärzt vom Tod!
Da liegt die Augenkugel triefend rot
Auf düsterm Kiefernforste,
Dem rauchige Brunst entloht -
Ein glühendes Ei im brennenden Neste!
Ja brenne nur, unholde Veste
Der alten Welt, sammt Galgen und Henkern!
Mit Flüchen will ich deine Funken
Schüren, bis du in Asche gesunken. - - -

Nun allen Sorgen fern,
Wend ich mich um -
Zum Morgenstern,
Der leuchtend groß wie eine weiße Wasserrose,
Verzückt wie ein Prophet,
Am milchigen Himmel steht.
Wölkchen schwimmen goldfischgleich;
Das graue Korn erschauert;
Freudig blitzt es auf im windgekräuselten Teich;
Erwachte Wasserspatzen
Zwitschern froh und schwatzen
Im frisch durchhauchten, wogenden Rohr;
Und aus thauversilberten Halmen
Steigt die Lerche, das Auge im Glanz, empor
Mit seligem Tirili.


IV.
Die Sonnenblume.

Auf sandiger Haide am Kiefernforst
Kauert ein Häuschen gedrückt
An Fenster, Dach und Lehmgewand
Verwahrlost und zerstückt.

Des bretternen Stalles Thüre klafft, -
Verkauft sind Schaafe und Ziegen;
Im Dünger ein letztes Hühnchen scharrt,
Und mürrisch brummen die Fliegen;

Und in der Stube, da quarrt das Kind,
Das Weib, das zornige, schilt,
Des Häuslers Stimme, trunken und rauh,
Lästert dazwischen wild ...

Am Fenster die schlanke Sonnenblume
Erbebt in geheimem Leid;
Aus Schutt und Unkraut strebt sie scheu
Und starrt in die Ferne weit.

Dort hinter vergilbtem Kartoffelkraut
Und blondem Stoppelhaar
Erglänzt der Himmel so goldig zart,
Wie Gesang so wunderklar.

Im Dufte dort mit schmetternder Glut
Verblüht die Abendsonne; -
O schmachtende Seele, starre hinein
Und trinke dir einzige Wonne! -

Und die Blume - am taumelnden Sonnenball
Hängt schwärmerisch starr ihr Angesicht,
Ihr gelbumlodertes frommes Gesicht,
Versunken im Licht, ertrunken im Licht.

Die breiten graugrünen Blätter spreitet
Sie sehnlich in zitternder Scheidetrauer,
Und hinter der sinkenden Sonne gleitet
Ihr Sinnen hinunter mit Andachtsschauer.


V.
Der Mohnkopf.

Im herben Wind, am Dornenzaun,
Bei toten, raschelnden Ranken,
Verödet muß dies Greisenhaupt
Die trüben Tage durchwanken.

Und aschendürr und aschenfahl,
Von Gram gebeugt, hinab
Zur wüsten Erde starren:
Du meiner Hoffnung Grab! -

Ach wohl, im Sommer! - als flammend heiß
Im Blauen die Sonne stand,
Da war von üppigen Träumen
Mein jugendlich Haupt entbrannt.

Ich loderte glutig und dünkte mich selbst
Solch herrlicher Flammenbronnen
Und wollte im Herbste Garten und Flur
Besäen mit roten Sonnen.

Doch als er kam, der Herbst - da ward
Ich zage wie welkendes Laub,
Und als ich neigte mein Haupt zur Saat,
Da war manch Körnlein taub.

Und etliches siel auf dürres Gestein,
Der Vogel hat es gepickt,
Und etliches wird, wenn es keimt, zertreten
Oder von Dornen erstickt.

Und etliches hat der barsche Sturm
Geschleudert - weiß nicht wohin -
Auch den vermessenen Jugendtraum
Gezaust mir aus dem Sinn. -

Nun steh ich hier am Dornenzaun
Bei toten, raschelnden Ranken
Und muß mit ödem Greisenhaupt
Die trüben Tage durchwanken.

O Jugend, du fliegst kühn und rasch,
So wie die Schwalbe schnellt;
Doch, gleich der Schnecke träge, schleicht
In Ewigkeit die Welt.


VI.
Ich will!

Hoch stand ich auf dem Dach' und sah seltsamste Morgenglut:
Rings wogte über die Häuser hin ein Meer von Brand und Blut.
Es brüllte die schwarzrot qualmende Schlacht; mit zornigem Knattern schossen
Behelmte Feinde zu uns empor; doch es trotzten fest die Genossen
Wie Felsen im schlagenden Hagelsturm; verheerende Bomben schwangen sie
Und manchmal durch das Schlachtgetos' die Marseillaise sangen sie.
Ihr wollust-girrendes Mordlied pfiff eine Kugel an meinem Ohr;
Da bäumte sich meine Seele jäh, gleich wütiger Schlange, empor,
Den Sprengball zuckte die krallende Faust nach den feindlich stürmenden Massen
Und schmiß des Todes reißende Saat hinunter mit jauchzendem Hassen.
Und dumpf ...

Ein Rollen ... ein Peitschengeklatsch und Getrappel ... goldflirrender Schein,
Und sieh! die Morgensonne stralt ins offene Fenster herein;
Im Bette lieg' ich; - es war ein Traum! Nicht Kugeln, - die Schwalben girren
Und schießen um mein ländliches Dach, und droben im Mattblau schwirren
Lichtfrohe Lerchen. Durch thauige Flur trabt munter das Pferd mit dem Wagen;
Drauf sitzt der junge Bauer und schmaucht sein Pfeifchen mit Behagen.
Und fährt so sicher hinein in die Welt. Ich aber, ich seufze und schwanke
Und bin auf bangem Lager hier ein zweifelnder Gedanke.
Noch hält der zornesglutende Traum mein Herz in banger Stockung,
Und schon umschmeichelt mich so süß des Lebens liebliche Lockung.
Da schwindelt mir; Verwirrung, Scham, sie überfluten heiß mich;
O ich vermessener, armer Thor! Was bin ich? Und was weiß ich?
Ich bin nur ein Halm im wogenden Feld und wähnte, ich sei das Feld;
Und ich wanke und schwanke in Lieb' und Haß, und mir däucht', ich bewege die Welt.
O ich Irrtum und schwächlicher Widerspruch! -

Und doch! Was hier erwacht
So grimm und kühn, ist Irrtum nicht, ist Zwietracht nicht, - ist Macht.
Ich bin die einige Macht, bin Lieb' und Haß mit einem Male,
So einig wie Kastanienfrucht und ihre Stachelschale.
Und die hassende Liebe, der liebende Haß, so in mir gährt und schafft,
Das ist der Menschheit Lebensdrang, ist die weltbewegende Kraft.
Ich will! Und dieser Kraftstrom wird durch alle Zeiten wallen,
Wird Arme breiten sehnsuchtsvoll und Fäuste drohend ballen.
Ich will! Und wenn mein trotziger Mund auch längst im Tode schwieg,
Ich will! - Und ewig ist mein Kampf, und ewig ist mein Sieg.


  Bruno Wille . 1860 - 1928






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