Erkenntnis

I.

Laß mich allein,
Du sollst kein Sklave sein.
Denn wie ich bin, muß ich zum Herrn mich schwingen
Und, was mir naht, ganz mir zu Willen zwingen.
Ich weiß, dem Liebsten bin ich ein Despot,
Und doch ist mein Empfinden nicht verroht,
Gewaltthätig und ungestillet nur,
Sprengt ihre Haft die innerste Natur,
Sich zu genießen, sich zu finden,
Sich frei der gleichen zu verbinden.
Frei, einmal frei von jedem Zwang,
Frei jeder Drang, frei jeder Hang,
Will ich mein eignes Leben leben,
Und wer mich will, der muß sich mir ergeben.
Wenn Du bedrückt Dich fühlst - so geh,
Dann laß mich allein; ich will nicht Dein Weh;
Dann liegt Dein Leben auf andrer Bahn,
Denn Gleiches hebt sich an Gleichem hinan;
Da ist das Dienen - sich selbst verstehn,
Ein Seele in Seele übergehn:
Ich will das Aug, das mit mir wacht,
Ich will den Mund, der mit mir lacht,
Ich will den Zorn, der mit mir zürnt,
Die Jugend, mit mir träumend, irrnd;
Sie soll mit mir fühlen, sie soll mit mir leiden,
Den Busen mir öffnen, den Busen mir weiten,
Eins im Dienen und eins im Führen,
Eins im Gewinnen, eins im Verlieren;
Ihr in gleichem Willen gesellt,
Fühl ich mich eins mit dem Herzschlag der Welt.


II.

Geliebt? Ich will verstanden sein,
Erlöst von des Innren Gewalten,
Aus ihres Dunkels Banden sein,
In Dir mich erkennend gestalten.

Und nur, weil Liebe macht verwandt,
Und nur, weil Liebe verstehet,
Und nur, weil in erlösendem Band
Sie dem tiefsten Wesen sich ehet,

Ueb' Deine offenbarende Macht!
Was sollt' mir das Taumeln und Irren,
Ein Schattenleben, faul verbracht,
Vertändelt in blödem Girren!

Mich kann nur lieben, wer versteht;
Mir löst die gährenden Siegel,
Und wenn er auch zu Grunde geht,
Verläßt ihn mein freier Flügel.


  Leo Sternberg . 1876 - 1937

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