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Gedichte, Lyrik, Poesie

Im Weltgesang
162 Bücher



Leo Sternberg
Im Weltgesang . 1. Auflage 1916



Bruder Faun

I

Ich habe meiner Freiheit nachgeweint ...
Ich hörte Krähn und Elstern meiner spotten.
Die Nymphen höhnten mich aus allen Grotten
- den Schwachen, der sich selbst verneint.

Ich ging mit meiner Herde durch die Flur
und auf der Erde schlief ich, auf dem Felle
des weichsten Lammes, in der Mittagshelle;
und bei mir lag Göttin Natur.

Und aus der eignen Kraft der Brust erhob
der Träumende sich eine Himmelsleiter,
um die sich duftgewölktes Leben wob ...

Ich ging erwacht in meinem Traumland weiter
- bis das Gewölk aus Rosenduft zerstob
vor jenem schwarzgeschienten Schicksalsreiter.


II

Er zwang mich, mitzugehn in einen Park,
wo zierlich zwischen großem Gartenmohne
ein Mägdlein stand mit einer Glitzerkrone
und lächelte; und Träumer sind nicht stark.

Ich nahm die Blüte, wildbehaart und rot.
Sie winkte mit durchbrochnem Spitzenfächer
und führte mich ins Schloß, in Saalgemächer;
die waren modrig-grau und schaurig-tot.

An grader Tafel saßen wir zu zwei,
hoch über uns die Fenster wie im Kerker.
Mit Schüsseln hinter uns stand der Lakai ...

Und meine Sehnsucht wurde immer stärker:
Ach, wär ich wieder draußen, wieder frei!
Da lockte sie mich in den Liebeserker.


III

Doch ich erkannte mich als ein Gesetz.
Ach, lieber tot sein, als mir nicht gehören!
Durch freie Sünden lieber sich zerstören,
als einzugehn in fadem Liebesnetz!

Ich wollte, Heu im ungekämmten Haar,
auf Streu mich strecken, wenn es mir gefiele,
und Strolch und König sein im Wechselspiele
und in der Höllen- und der Himmelsschar.

Was lag mir an der Treue einer Frau!
Ich wollte lieben, hassen, mich vernichten
und zärtlich sein und glutenstumm und rauh!

Die größte Sünde heißt: auf sich verzichten.
Die Kraft des Traumes strömte schon zu lau,
sich ihre Himmelsleiter aufzurichten.


IV

Der Mensch ist seiner Träume willen da.
Die Träume sind die vorgeschaffnen Seelen;
die Leiber, die sie einst erwählen:
das Sehnsuchtsbild, das er ins Dasein sah.

Doch nur in Freiheit zeugt das edle Blut;
und mehr befruchtet Müßiggehn und Schlafen,
als wenn wir, fremder Mächte Sklaven,
in Himmel steigen ohne Schwung und Glut.

Wo schöpft Erkenntnisperlen sich die Welt?
In Schlummertiefen der versunknen Stunden.
Im Unbewußten sät sich Gott ein Feld.

Nein, leben will ich frei und ungebunden!
Nicht einer, der dem Weibe sich gesellt,
hat noch den Weg zu sich zurückgefunden.


V

Da ging ich aus dem starrend-reichen Saal,
wo nach dem Uhrwerk sich die Puppen regen,
verbeugen, Hände küssen, schlafen legen,
mit Gähnen sich erheben von dem Mahl.

Wie flogen Kleidungsstück nach Kleidungsstück
hinweggeschleudert hinter mich im Laufen!
Ich rannte nackt die Zofen übern Haufen,
und der beschnittne Park lag bald zurück.

Ich wälzte mich im hohen Halmenmeer;
und aus der Samenwolke, welche staubte,
trat Bruder Faun heran und lachte sehr ...

Die Mohneskapsel dann, die blattberaubte,
die ich noch hielt, auf meine Stirne drückte er:
Du trägst das Sklavenmal an deinem Haupte!


VI

Der aschenblaue Stern auf meiner Stirn
- mit ein paar Blättern war er abzureiben.
Wer wehrt mir jetzt, mich nachts herumzutreiben
und auszuschlafen unterm Taggestirn?

Mich unters Euter legen, wenn ich durstig bin...
Auf eine Pappel klettern und mich wiegen ...
Mir wie ein Satyr eine Schöne kriegen ...
Mir Weidenpfeifchen klopfen auf den Knien?

Der Wandervogelzug im blauen Zelt
vermischt sich mit dem Schwarm meiner Gedanken.
Es will das Bächenetz im Frühlingsfeld

sich mit den Quellen meiner Brust verranken.
Ich darf gehoben von der ganzen Welt
wie eine Wolke durch die Schöpfung schwanken.


  Leo Sternberg . 1876 - 1937






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