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Gedichte, Lyrik, Poesie

Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Proserpina

I

                              Als Gott den weichen Wohllaut "Blume" schrieb,
                              Da wölbt' er auf das sehnende Gewächs
                              Dehnend den Schmetterling als Zirkumflex.


Mutige Fee des Geklüfts, Proserpina, Tochter der Waldschlucht!

Sprich! wo hast du's gelernt, gesteh' und verkünde die Wahrheit,
Daß du, Apollo, dem Einzigen gleich, dem Fürsten der Felsfluh,
Schleifend umschlüpfest den Stein; und über dem grünlichen Schierling
Schlingest das Band? und den zitternden Stern? und die Räder und Kronen?

"Ei! wo hätt' ich's gelernt! - Ich lernt' es, wo der Apollo;
Fallend vom zackigen Fels und bebend im wehenden Luftmeer.
Hohes erreicht, wer Hohes ersehnt und mutig mit anstrebt,
Jeder mit eigenem Schmerz. Es schweben im Tal die Vanessen;
Schwimmend den funkelnden Wald durchreist die stille Sibylle;
Aber wir andern hier oben am stürmischen, zackigen Bergspitz
Reiten im Sturz, und zittern vor Stolz, und schleifen vor Hochmut."


II

Ein Bündel Sonnengold im stillen Eichwald.
Und durch die leisen Hallen ruft der Kuckuck.

Über den weiten wolkenweichen Wipfel
Des Waldesriesen schlüpft ein leichter Schatten.

Ein zweiter huscht ihm nach, ein dritter hascht ihn.

Vereint umkreisen sie die düstern Lauben
Im luft'gen Dreigespann, ein Hauch des Abends,
Drei Blumenblätter, schaukelnd durch den Weltraum.

Flüsternd zu ihren beiden treuen Buhlen,
Begann Proserpina, die Fee der Waldnacht:

"Seht ihr dort unten in der Erdbeerlichtung
Schimmern im Abendstrahl den fahlen Holzstamm?
Wohlan, welcher von Beiden siegt im Wettlauf
Über den Andern, Jenem will ich Braut sein."

Kaum hat den Spruch getan die junge Waldfee,
Vollziehn sie eifersüchtig schon den Brautlauf.

Stark ist ihr Leib, die Beinchen schleudern kraftvoll
Mit Ruck und Stoß, kreuzweis, im Schraubenzickzack
Das liebesfrohe Paar. Vor Siegeshoffnung
Zittert und zuckt das mutbeseelte Fühlhorn.

Wartend im schön bekränzten Thron des Brautbetts,
Trunken von Sonnenschein, berauscht von Balsam,
Verfolgt mit träumerischem Blick den Wettlauf
Proserpina, die angelobte Jungfrau.

Ihr Kleid ist Samt, verbrämt mit seltnem Rauchwerk.
Ein Flügelfächer dient der eitlen Jungfrau
Zum Spielzeug; bald mit einem großen Armstreich
Ihn frei entfaltend, bald mit Frauenarglist
Neidisch versteckend seinen üpp'gen Reichtum.

Und wie der Pfau, lustwandelnd durch den Schloßhof
Sich dreht und kehrt und spiegelt den Smaragdschweif
Funkelnd im klaren See des Gartenbrunnquells,
So wendet und bewundert sich die Waldfee
Im heißen Abendrot, und Lust und Sehnsucht
Flammen und blitzen durch ihr kleines Hartherz.

Da fällt ein Schatten plötzlich durch den Eichbaum.

Und hinterrücks, verräterischen Anflugs,
Ein frecher Nebenbuhler sperrt der Jungfrau
Gebieterisch den Weg. Vor Schrecken bebt sie.
- Dann flüstert sie und fleht und droht ihm. - Endlich
Verstohlen äugelnd winkt sie mit dem Fühlhorn
Deutend ins Tal. - Und wie nun durch den Forst hin
Laut tönend widerhallt der Ruf des Kuckucks,
Da stiehlt sie sich behutsam um den Eichstamm;
Darauf mit jähem Schuldbewußtsein, flüchtlings
In langen Zügen reisend durch das Laubdach
Ist sie verschwunden in dem tiefen Talgrund.

Ihr nach der böse Buhle prächt'gen Aufscheins.

Inzwischen unten auf dem fahlen Holzstamm
Rennen noch immerfort die blinden Männlein.

Die Sonne flieht, es ist verstummt der Kuckuck
Und Dämmerung begräbt die finst're Waldnacht.

Doch als nun schaurig durch den hohlen Hochwald
Zittert und heult der grause Schrei des Uhu,

Da stürzen sie zum schwarzen Himmel aufwärts
Und flattern stürmisch jagend, irr und angstvoll
Absuchend den verwaisten, kalten Brautsaal.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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