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Schmetterlinge
162 Bücher



Carl Spitteler
Schmetterlinge . 2. Auflage 1907



Pfauenauge

In einem schwülen Lande ein kühler Gasthof stand,
Da nahm die Morgensonne den Eimer in die Hand,

Den reinen goldnen Eimer von luft'gen Fluten schwer,
Und goß erhobnen Armes das duft'ge Glutenmeer
Sturzweise nach der Kuppel, daß der verklärte Strom
Dampfte von warmen Wellen und rauchendem Arom.

Und als nun Dach und Zinne von lichtem Feuer troff
Und funkelnd aus der Rinne der Segen überloff,
Da schlug gekrümmten Knöchels sie pochend auf das Sieb
Und schüttelte den Zuber, ob Neige drin verblieb.
- Und siehe, statt der Neige ein leichtes Blumentier,
Ein dunkles Pfauenauge, ein samtnes Glanzpapier
Entschwebte dem Behälter und in gewundnem Flug
Sank es hinab zum Hofe, wohin's der Wirbel trug.

Geblendet war sein Auge, sein Herz von Glanz berauscht,
Und während seines Falles erzittert' es und lauscht'
Schwermütigen Akkorden, die aus dem prächt'gen Raum
Veredelten den Gasthof mit mitternächt'gem Traum.
"Wie quillt so voll das Leben, so reich der Augenblick!
Wohin wird mich entsenden das sonnige Geschick?"

Da spielt' in hohem Bogen ein kühner Brunnentanz
Und darum hingezogen ein grüner Palmenkranz.
Schnell flog das flügge Tierchen mit leisem Flügelwind
Und schmiegte sich und duckte sich an ein Blatt geschwind

Daselbst im kühlen Walde, von Glut und Glast befreit,
Im Regenbogenzimmer, in grüner Dunkelheit
Gewöhnt' es seine Augen und sah sich ruhig um,
Lugend aus seinem sichern, versteckten Eigentum.

- Plötzlich mit schnellem Sprunge schwang es sich kräftig auf,
Und hastet' um die Fenster hurtig in wildem Lauf.
Aber im zweiten Stockwerk am Simse hielt es still,
Belauschend durch die Läden ein liebliches Idyll:

Ein göttlich Menschenbildnis, von Anmut eine Frau,
Wahrheit im stolzen Antlitz und Majestät im Bau,
Die Lippen aufgeschlossen, die Augen feucht verhüllt,
Und all das stolze Wesen von Lieb' und Glück erfüllt,
Stand hocherhobnen Körpers und gab mit weichem Sinn
Dem angetrauten Manne die Hand zum Gruße hin.
- Und während er mit Küssen von Liebesinbrunst warm
Umschmeichelte den ernsten, kalten und bleichen Arm,
Vernahm sie die Akkorde so traurig und so rein
Und sah das Pfauenauge am Sims im Sonnenschein
Und seufzte tief im Herzen und dachte still dazu:
"Du blumenweiches Vöglein! du meine Schwester du
An fleckenloser Schönheit, du himmlisch Sonnentier!
Aus deinen großen Augen melde die Zukunft mir:
Von heut' in manchen Jahren, wenn Zeit und Lust verblüht,
Werd' ich ihm heilig bleiben im innersten Gemüt?"

Da drehte sich das Vöglein, verschwunden war die Pracht,
Die Blumen samt den Augen bedeckte schwarze Nacht.
Dann wiederum sich wendend, gab es der schönen Maid
Aus allen Pfauenaugen wehmütigen Bescheid:

"Du edle Menschentochter, Hochzeit und Schmuck der Welt,
Was dir die Zukunft gerne bewahrt und vorbehält,
Laß liegen in der Ferne. Der heut'ge Tag ist dein,
Geizig genieß' und halt' ihn, den seltnen Freudenschein;
Viel Ströme Leid bedarf es zu einem Tröpfchen Glück
Und Schmerzen liegen diesseits und Schmerzen sind zurück.
Die Welt ist Gott entlaufen, sie rollt im Übergang;
Des Menschen Glück und Liebe ist innig, doch nicht lang."

So sprach das Blumenvöglein, es war sein letztes Wort,
Es schwamm im blauen Himmel und war auf immer fort.

Allein die Menschentochter mit männlichem Versuch
Unter viel bittern Tränen beherzigte den Spruch,
Beherzigt' und versucht' ihn; dann fiel sie einesmals
Dem erstgeliebten Manne stürmisch an Brust und Hals
Und, an die Schulter schmiegend ihr Tränenangesicht:

"Du mußt mich ewig lieben, denn ich ertrüg' es nicht."


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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