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Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Thema

Großes Leiden litt einmal ein Dichter:
Festgesetzt in mitten zweier Jungfraun
(Holder Jungfraun schön mit vielen Locken)
Duldet' er ein Schmeichelabendessen
Welches ihm zu Ehren und zur Strafe
Hatten aufgeboten seine Freunde,
Lorbeerfreunde seit dem schweren Siege,
Aber vor dem Siege Nesselfreunde.
Und mit Saucen und mit seltnen Weinen
Und mit Kränzen und mit süßen Worten
Prüften sie des armen Dichters Langmuth
Bis sie endlich mit geschickter Wendung
Fingen an die Bildung zu beweisen
Und begannen die Geliebten Goethes
Aufzuzählen an den Bildungs-Fingern.
Wollten gerne dann zum Lohn der Arbeit
Aerndten ein besonderes Gedichtchen
Und mit feinen und mit plumpen Bitten
Gingen sie dem Dichter jetzt zu Leibe.
Aber nicht verstand er was sie meinten.
Bis zuletzt aus all den schönen Damen
Sich erhob des Dichters ächte Freundin -
Freundin nicht von Lorbeer und von Nesseln,
Sondern Freundin aus der Zeit des Unglücks.
Langsam hub sie an und fragte zögernd
Irren Blickes aus dem großen Auge
Und die Wangen roth vom edlen Feuer:
"Lieber Dichter, du mein lieber Dichter,
Einen Reim mir sing auf dieses Thema:
Leis und zitternd aus gewaltger Ferne,
- Außerhalb des großen Weltengrabmals
Wo das adeliche Seelendasein
Liegt verschüttet unterm schlechten Sande -
Hör ich ewig Jemand schrein und klagen
Anverwandter heimathlicher Stimme.
Von dem großen Herzen, das da leidet,
Strömt zu mir ein breiter Strom der Liebe,
Warm umhauchen mich die sanften Fluten,
Aus den Wellen steigt ein farbig Leben,
Farbig Leben nicht von Körperfarben,
Nicht von außen vor mich hingeworfen:
Farbig aus den Farben der Erinn'rung,
Steigend aus der kleinen Zauberhöhle
Wo die Seele eines jeden Wesens
Lauert in geheimnißvoller Tiefe,
Mit den Augen schauend durch die Oeffnung
Aber mit den eigensten Gefühlen
Wurzelnd in dem allgemeinen Gottsein.

- Und die Farben fügen sich zu Bildern
Und die Bilder ketten sich zu Ringen
Bis zuletzt in langem Trauerzuge
Steigt herauf die vorvergangne Wahrheit
Und ich schaue wieder jene Zeiten
Wo, noch nicht vom Weltensand zerschnitten,
Ich und du und sämmtliche Geschöpfe
Bildeten ein einzges einig Wesen
Jung und schön von göttlichem Geblüte
Wohnend auf dem Schloß des stolzen Freiherrn
Wo vom Gitter bei dem Lindenhage
Bis zum Giebel überm rothen Dache
Herrscht' ein selges heimathliches Leben
Und die Schwalben, sitzend auf der Scheuer
Trugen weißgemalte Freudenkleider
Daß man kaum gewahrt ein schwarzes Brüstchen.

Welche Bosheit hat uns hintergangen
Daß wir um ein schmerzenvolles Dasein
Mochten tauschen die geliebte Heimath?

Keine Bosheit hat uns hintergangen
Uns verrieth des eignen Herzens Thorheit:
Gingen suchen eine bessre Heimath
Gingen suchen, gingen nicht zu finden;
Haben funden eine schlechtre Heimath
Unterm tiefen Sand im Weltengrabe.

Lächelnd hörten das die vielen Freunde,
Klugen, überlegenen Verstandes,
Unvernünftig, was sie damit machten.
Doch der Dichter mit gelassnem Wesen
That hinweg den lästgen Nessellorbeer
Sammt den Kränzen mit den Rosaschleifen
Und nachdem er erstens vor der Hausfrau
Höfisch sich verneigt und sich verklauselt
Nahm er grüßend auf das hohe Thema
Und bereitete getreu die Antwort
Erstens heimlich redend aus den Augen
Zweitens deutlich mit dem Munde redend.

Also redet er aus seinen Augen:
"Seltnes Weib du meine hohe Freundin!
"Niemals werd' ich dieses dir vergessen
"Daß zur schlimmen Zeit der bösen Leiden,
"Als mit Tadeln und mit weisen Lehren
"Und mit Schmunzeln und gesundem Spotten
"Mir die Andern würzten meine Krankheit,
"Du behieltest meinen Werth im Herzen.
"Ob den Andern jenes ich vergesse,
"Dieses werd' ich niemals dir vergessen."

Also sprach er heimlich mit den Augen
Aber laut und deutlich aus dem Munde
Hub er an und sprach mit ernster Stimme.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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