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Gedichte, Lyrik, Poesie

Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Mythus

Ueberm Waldgebirge schritt ein Brautpaar,
Küßte sich und sah sich in die Augen.
Heimlich sprach der Bräutigam zur Jungfrau:
"Edles Kleinod, meine weiße Blume,
"Deren Seele reiner als der Bergquell,
"Duftger als der blaue Himmelsäther,
"Eh ich dich gefunden, du Geliebte,
"Ging mein Weg durch dornenvolle Schluchten;
"Eitel Qual und Unglimpf war mein Schicksal
"Und ein Fluch schien über mir zu schweben,
"Daß mir nichts gedieh und Niemand freund war.
"Aber seit mit hehrem Engelsodem
"Mich umhaucht die herrlichste der Jungfraun,
"Ist der Fluch gewichen, und das Glück, auch
"Angelockt vom Strahl der schönsten Augen
"Und von deiner holden Lippen Lächeln,
"Maid von Himmels Gnaden, Benedeite,
"Hat gezwungen sich zu mir gewendet.
"Bist doch selbst das Glück! In deinem Herzen
"Keimt und blüht es als in einem Garten;
"Seh es leuchten aus dem lichten Antlitz
"Spür' es strahlen aus dem keuschen Busen.
"Trinken will ich's, heißen, ewgen Durstes,
"Trinken von den zartbeseelten Fingern,
"Trinken aus dem Kelche deines Mundes."

Und es schmiegte sich die sanfte Jungfrau
Fest und innig an den trauten Jüngling;
Liebesseufzer dienten ihr als Antwort,
Während unter seinen süßen Reden
Zitterten und zagten ihre Glieder
Und ihr Busen wogt' und wallt' und bebte;
Bis sie endlich unter weichem Schluchzen,
Selge Wonnethränen reichlich weinend,
Ihr Gesicht begrub an seiner Schulter.

Und er nahm sie fester in die Arme,
Küßte tröstend ihr die duftgen Hände,
Küßt' ihr auch das schöne Thränenantlitz,
Ehrfurchtvoll, bescheidenen Beginnens,
Wie man küßt den Leichnam des Erlösers;
Flüsterte darauf und sprach mit Andacht:
"Zage nicht, du Reh vom heilgen Walde!
"Fürchte nicht! Ich will dich kräftig schützen!
"Soll kein Leid noch Ungemach dich treffen,
"Und kein Schatten trüben deinen Frohmuth.
"Will mich vor dich stellen, will dich schirmen,
"Daß dein Dasein glatt und sanft und eben,
"Gleich dem Traum, vom Morgenroth geboren,
"Gleich Gedanken deiner zarten Seele,
"Vor dir fließe wie im Strom der Nachen.
"Aber selber will ich jetzt und ewig
"Auf den Knieen liegend vor dir dienen,
"Frommen, weihevollen Gottesdienstes,
"Wie die Priester dienen vor dem Altar."

Also kosten sie in keuscher Inbrunst,
Wandelnd über Berg und Wald und Weiden;
Purpurn schien das Thal zu ihren Füßen,
Golden dünkte sie der ferne Bergsaum,
Und die Welt mit ungeheurem Bogen,
Groß und gut gesinnt und unergründlich,
Wölbte sich zum Tempel ihrer Eintracht.
Selig schauten sie das hohe Schauspiel.
Konnten doch nur selber sich vernehmen,
Wußten nichts von Weg und Zeit und Endziel,
Nur des Gegners Auge dient' als Führer.

Ueber diesem nahte dann die Hochzeit.
Kamen her von nah und fern die Freunde;
Lächelnd grüßten sie das edle Brautpaar,
Glück und Segen lispelnd mit den Lippen
Und Geschenke tragend auf den Händen.

Und es sprach zur frohen Braut der Brautmann:
"Siehe, Liebste, dieses ist der Weltlauf:
"Als ich unlängst krank mit wundem Herzen,
"Warb um ein geringes gutes Wörtchen,
"Mocht ich weinen, mocht ich schrein und flehen,
"Taub und stumm verblieben Wald und Berge,
"Konnte nirgends einen Freund entlocken.
"Aber nun mit Mittagsonnenglanze
"Strahlt das Glück auf meines Hauses Giebel,
"Nun erscheinen sie aus ihren Höhlen;
"Haufenweise kriechen sie zu Tage;
"Ist kein Busch, noch Stein, noch Mäusehügel,
"Daß mir nicht daraus ein Freund erstiege.
"- Darum, Liebste, weiß ich, was das werth ist;
"Dir verdank ich einzig diesen Segen;
"Will's empfangen als von dir erhalten
"Und dir's lohnen mit ergebner Treue."

In der Zahl der Freunde war ein Arzt auch,
Roth und mißgestalt und schlecht von Herzen,
Welcher hatte um die Braut geworben.
Neid zerfraß ihn und er sann auf Rache.
Täglich zog er nach dem dunklen Walde
Früh am Morgen, wenn die Nacht noch graute.
Sucht' am Sumpf und Bache von den Kräutern
Jene, die am giftigsten er wußte,
Briet und braute sie in seinen Tiegeln
Kunstgerecht, gemäß den weißen Büchern,
Und verdämpft' und trocknete die Brühen
Bis ein kleines weißes Pulver nachblieb.
Ging darauf zur Wunderfrau des Himmels
Und begann mit Zischeln und mit Flüstern:
"Wunderdoctor, weiseste der Frauen!
"Gieb mir Cantharidenlebenströpflein!
"Will dir's reichlich lohnen und vergüten
"So mit Silber als mit rothem Golde."

Und es saß die Wunderfrau des Himmels
Fett und häßlich hinter ihrem Ofen,
Dicht den garstgen Kopf umhüllt mit Tüchern;
Als sie nun vernahm des Arztes Frage,
Da begann sie unter heftgem Keifen:
"Falscher Lügner, sollst mich nicht betrügen!
"Wohl versteh ich deine böse Arglist!
"Keine Cantharidenlebenströpflein
"Kenn' ich; recht und unbescholten heiß' ich;
"Denn die Lebenströpflein sind verboten,
"Sind verboten unter Galgenstrafe."

Schwur darauf der Arzt und bat und flehte:
"Ohne Sorgen, will dich nicht verrathen;
"Nicht zum Schein verlang ich deine Tröpflein,
"Will sie brauchen zu verruchter Schandthat,
"Mich zu rächen an dem Glück des Freundes."

Lange wollte sie dem Schwur nicht trauen.
Endlich hub sie an und sprach bedenklich:
"Wehe, wenn du lügst! Doch will ich's glauben!
"Aber siehe, kostbar sind die Tröpflein,
"Mehr als Edelstein und Gold und Silber,
"Und geheimnißvoll ist die Bereitung;
"Weiß kein Anderer im ganzen Himmel
"Außer ich das wichtige Geheimniß.
"Aber willst die Tröpflein du gewinnen,
"Mußt du klaren Worts, mit Ringewechseln,
"Mir die Hand zum Ehebund versprechen.

Ungern mocht' er leisten die Bedingung.
Mußte dennoch endlich sich bequemen
Und die Ringe tauschen zur Verlöbniß.
Und es nahm die Wunderfrau die Tröpflein
Rasch und ängstlich aus versteckter Truhe,
Und mit hastger, zischelnder Belehrung
Uebergab sie ihm die beiden Fläschchen:
"Was du siehst in diesen winzgen Gläschen,
"Dieses ist die Frucht von tausend Wäldern.
"Jährlich einmal seit der Welten Anfang
"Ging ich mitternachts am längsten Tage
"Nach dem einzgen Cantharidenbaume,
"Der, versteckt im tiefsten Waldesdickicht,
"Einmal blüht im Jahr mit Einer Blume:
"Und Myrjaden solcher Blumen braucht' ich
"Zu gewinnen diese beiden Tröpfchen.
"Aber achte nunmehr meiner Worte:
"Zwar so lang die Tröpflein einzeln bleiben,
"Alsolange sind sie todt wie Wasser:
"Doch sobald sie ineinanderfließen
"Werden sie sich binden und vermählen
"Und erzeugen ein verfluchtes Leben,
"Klein zu Anfang, ähnlich einer Spinne
"Oder einem kleinen, hurtgen Käfer,
"Aber unzerstörbar, ewig dauernd,
"Und mit jäher, wuchernder Vermehrung,
"Daß, wenn wo der Käfer hüpft zu Boden,
"Ist in kurzer Zeit die Weltenlandschaft
"Dicht erfüllt vom Lebensungeziefer.
"Keine Salbe wird sie mehr erretten."

Frohen Hasses lief der Arzt nach Hause,
Holt' ein gläsern Ei aus seinem Werkschrank,
Lud es erstens mit dem giftgen Pulver,
Ueberdieß mit beiden Lebenströpflein.
Während er das erste Tröpflein aufgoß,
Da begann das Pulver leicht zu gähren;
Aber bei dem zweiten Lebenströpflein
Ward gehört ein banges lautes Stöhnen,
Daß der Arzt erschreckt die Schale zuschloß.

Trug sodann beherzt das Ei zum Goldschmied,
Schloß die Thür und flüsterte vertraulich:
"Lieber Freund! mein treuer Nebenbuhler!
"Uns vereint dasselbe hehre Unglück,
"Da nun bald die herrlichste der Jungfraun
"Wird zu Theil dem fremden stolzen Festmann.
"Darum höre, Trauter, meine Bitte:
"Schmiede mir von Gold ein schönes Armband,
"Reich verziert mit Schmelz und edlen Steinen,
"Daß zur Hochzeit ich's der Liebsten spende;
"(Will's dir gern mit jedem Preis vergüten);
"Aber in das Mittelstück des Armbands
"Füge dieses Ei mit sichrer Fassung;
"Ist mein Bild darin zum Angedenken."

Und der junge Goldschmied stummen Mundes,
Drückte still die Rechte seines Gegners,
Nahm das Ei und setzte sich zur Arbeit.
Aus dem weichsten, reinsten Golde schuf er,
Reich geschmückt mit Schmelz und edlen Steinen,
Schuf zugleich aus seinem weichsten Herzen,
Daß die Thränen rannen auf das Armband.
Leise sang er während seines Schaffens,
Sang und betete mit Trauerstimme:
Hehre Maid, unnahbar hehre Jungfrau!
"Denk ich, daß die Arbeit meiner Hände
"Ist bestimmt zu deinem heilgen Dienste,
"Wird genießen deines Auges Anblick
"Und umspannen deine lichten Arme,
"Wie ertrag ich Niedrer dieses Wagniß?
"Nicht am Rathsherrnmarkt die zünftgen Meister
"Möchten ohne Zittern sichs getrauen."

Also schuf er mit bescheidnem Zagen
Unbewußt das allerschönste Armband,
Wie kein zweites jemals ward gesehen;
Fügt' auch neidlos ein das Angedenken,
In das Mittelstück mit sichrer Fassung;
Aber in des Ringes Gegenmitte
Malt' er selbst der Jungfrau eignes Bildniß,
Frei von Herzen, doch getreu und innig.
Unermüdlich wacht' er alle Tage
Bis um Mitternacht mit treuem Fleiße;
Und es wurde roth und krank sein Auge,
Nicht allein von seinem harten Werke,
Sondern krank und roth zugleich von Thränen.

- Als dann fertig war der Liebsten Bildniß
Nahm er aus verschlossnem, festen Schreine
Sieben linsengroße Prachtdemanten,
Als sein ganzes Erbgut und Vermögen,
Reihte sie zum Kranze um das Bildniß,
Weinend, daß das Herz ihm wollt zerspringen,
Singend mit erstickten kurzen Tönen:
"Wie so gerne, liebste, strengste Jungfrau,
"Wie so gerne geb ich dir zu eigen
"All mein Gut und Erbtheil und Vermögen!
"Gäb auch gerne mehr, wenn du's erlaubtest!
"Doch du lächelst meiner armen Habe:
"Was bedarfst du harter, todter Steine?
"Selbst aus deinen wunderbaren Augen,
"Wenn du blickest strahlt ein Gottes-Lichtglanz,
"Daß ermattet jedes andre Leuchten.
"Aber siehe, was ich dir entbiete
"Ist mein ganzes Erbgut, ist mein Alles,
"Während du von deinen tausend Blicken,
"Die sich täglich voll und reich erneuern,
"Mir nicht leihen magst den kleinsten Bruchtheil."

Doch je mehr das Werk dem Ende nahte,
Ward versöhnlicher sein wildes Herzleid;
Seelenfreude strahlt' aus seinen Augen,
Weil er sah den prächtgen Schmuck gedeihen,
Und nachdem er endlich letzten Schlusses
Alles wohl geglättet und gebürstet,
Daß das Armband glitzt' und blitzt' und sprühte,
Schrieb er seinen Namen in das Kleinod,
Fein und heimlich, an versteckter Stelle,
Sang und flüsterte dabei mit Seufzen:
"Wenn du wüßtest, stolzeste der Jungfraun,
"Wenn du wüßtest, welches Maß von Leiden,
"Welche Thränen, welche Lieb' und Sehnsucht
"Sind verborgen unter dem Geschmeide,
"Würde sich dein schönes Aug' umschleiern,
"Müßtest meiner denken wider Willen,
"Und mir gönnen ein geheimes Fühlen.
"Aber will nun nichts für mich begehren!
"Mögest glücklich sein, ich bin's zufrieden!"

Als zur festgesetzten Zeit der Arzt dann
Kam zu holen die bestellte Arbeit,
Ei wie schillerte sein falsches Auge!
Hochbefriedigt fragt' er nach dem Preise. -

- Doch es sprach zu ihm der edle Knabe:
"Nicht um Geld hab' ich das Werk geschaffen;
"Auch für dich allein nicht: für uns Beide.
"Uns vereint ja doch dasselbe Unglück
"Und derselbe Wunsch lebt in uns Beiden:
"Ihr zu dienen bei dem hohen Feste,
"Daß von rosgem Glück ihr Antlitz strahle.
"Brauchst doch selbst mich keineswegs zu nennen,
"Nicht mit Namen, nicht mit klugen Winken;
"Dieses soll zum Lohne mir genügen,
"Daß ich stehend vor des Tempels Eingang
"Schaue, wie die Braut mit stolzen Schritten,
"Angestaunt, beneidet von dem Volke
"Zieht einher, geschmückt mit meinem Werke."

Lächelte der Arzt des frommen Kindes,
Und mit falschen, heuchlerischen Thränen
Ueberbracht' er jetzt der Braut das Armband,
Neigte sich und sprach geheimen Flüsterns:
"Schöne Maid, was braucht es vieler Worte!
"Denn du kennst die Meinung meines Herzens,
"Daß es unabänderlich in Treuen
"Dir allein gehört in Glück und Unglück.
"Aber weil mir nun dein hartes Urtheil
"Hat versagt, mit dir vereint zu wohnen,
"Darum muß ich Armer mich bescheiden,
"Dir mit Thränen und mit tiefem Kummer
"Zu entbieten meinen Gruß und Segen,
"Deß zum Zeichen ich dieß schlichte Armband
"Dir erdachte. - Mögst es nicht verschmähen,
"Ob es unbedeutend schon erscheine
"Und am Werthe deiner gänzlich unwerth!
"'S ist mein Bild darin zum Angedenken,
"Bittend, daß vielleicht in müßger Stunde
"Jährlich einmal meiner du gedenkest."
Mühsam nur ertrug sie seine Rede,
Ekel faßte sie ob seinem Anblick,
Aber als den Wunderschmuck sie schaute,
Konnte sie die Augen nicht bezwingen,
Daß sie immer blinzten nach dem Blendwerk.
Und sie sprach zu sich in ihrem Herzen:
"Kannst es waschen, kannst es fleißig räuchern!
"Was verschlägt es, wer es dir geschenkt hat?
"Gold ist edel, auch aus schmutzgen Händen;
"Soll mir doch kein garstiger Gedanke
"Je erinnern den verhaßten Geber."

Also nahm sie an das schlimme Armband,
Mit Verwirrung freilich und verlegen,
Mußt' auch stammeln schöne falsche Worte,
Und die weiße Hand ihm leihn zum Kusse.

- Doch nachdem der Arzt sie kaum verlassen,
Lief sie hastgen Laufes in ihr Zimmer,
Und mit Wasser und mit duftgen Salben
Wusch und rieb sie fleißig das Geschmeide,
Und versteckt' es endlich in dem Wandschrank.
Wollt' es dennoch immer wiedersehen;
Stets von neuem holte sie's von statten,
Wand es um den Arm und trat zum Spiegel.
Und das Spiegelantlitz, freundlich grüßend,
Lächelte aus seinen Spiegeläuglein,
Oeffnete das Mündchen, wies die Zähnchen,
Wispelte ihr zu mit schlauem Nicken:
"Mußt dem Bräutigam das Band nicht zeigen,
"Denn du kennst ihn und sein steif Gewissen,
"Daß was immer sein Gefühl verurtheilt,
"Sei es Sammt und Gold und weißer Demant,
"Ihm nicht höher gilt als Sand und Spähne.
"(Männern fehlt durchaus der Sinn des Schmuckes.)
"Darum glaube mir, wie ich ihn kenne
"Wird er unbeschadet seiner Großmuth
"Hart verwehren das Geschenk des Arztes."

Grämlich blickte sie dem Bild ins Antlitz,
Zog das Mäulchen und verschluckt' ein Thränchen,
Drauf versetzte sie mit düsterm Schmollen:
"Kann's nicht tragen, wenn ich's ihm verberge!
"Möchte gerne doch damit mich schmücken!
"Steht mir schön und stimmt zum Hochzeitskleide!
"Hei, wie sollten alle Himmelsschwestern
"Mir vor Neid vergilben und vergällen!"

Jetzt aus seinen klugen Spiegeläuglein
Tröstete das Glas und sprach die Antwort:
"Wohl, so zeig ihm's ehrlich und gerade;
"Kannst ja sagen irgend Jemand anders,
"Sei's der Vormund, sei's ein Anverwandter,
"Habe dich damit beschenkt zur Hochzeit,
"Oder nenn's dein angeboren Erbtheil;
"Alles glaubt ja gern der Mann dem Weibe."

Als dann Abends kam der Auserwählte,
Ei wie war die Jungfrau weich und wollig!
Wie der Schwan sich duckt im warmen Neste,
Also lag sie schmiegend ihm am Busen,
Bis zuletzt sie einesmals durch Zufall
Kam zu sprechen auf die Brautgeschenke
Und zu gleicher Zeit ihm wies das Armband,
Schön gewunden um den runden Knöchel,
Und erzählend von des Vormunds Erbschaft.

Wenig prüft' er da der Liebsten Reden,
(Alles glaubt ja gern der Mann dem Weibe)
Kaum gewahrt' er auch die feine Arbeit,
Sondern einzig nur die Braut bemerkend
Küßt' er ihr die runden duftgen Arme,
Kalt wie Schnee und licht und glatt wie Silber,
Und begann mit mild bewegter Stimme:
"Holdes Kind des Frühlings, junge Unschuld!
"Was bedarfst du Schmuck und Goldgeschmeide?
"Bist doch selbst nach deiner hehren Schöne
"Wie durch deines Wesens lautre Wahrheit
"Ein Juwel von unsagbarem Werthe!
"Möchtest unterm Volke dich begraben
"Und mit schmutzgen Lappen dich bedecken,
"Würdest nie verlieren deinen Lichtglanz!"

Also schritt die Braut geschmückt zum Tempel,
Weißen Kleides mit dem goldnen Armring;
Ueberall am Weg in schwarzen Reihen
Stand das Volk und freute sich des Zuges;
Zwar die Männer schauend nach der Jungfrau,
Doch die Weiber, blaß vor gelbem Neide,
Emsig blickend nach dem seltnen Prachtschmuck.
An der Tempelspforte stand der Goldschmied,
Unbeweglich, in der letzten Reihe,
Aengstlich lugend durch die vielen Köpfe.
Kaum erspäht' er die geliebte Jungfrau
Stolz verziert mit seiner Hände Arbeit,
Ward von Thränen blind sein schönes Auge,
Und mit schwanken, ungewissen Knieen,
Weil die Welt verschwamm in goldne Fluthen,
Lief er eilends durch die vielen Gassen.
Keiner war so glücklich heut wie dieser. -

Doch zu gleicher Zeit im selben Tempel
Schritt ein zweites Brautpaar vor den Altar:
War der Arzt mit seinem Wunderdoctor.
Als er sah sein festgeschmücktes Opfer
Blitzt' ein Siegesjauchzen durch sein Auge;
Aber als der Priester ihn vermählte,
Niemals wollt' er jetzt das Jawort geben,
Sondern wenn man dringend ihn bestürmte,
Sah er immer schaudernd nach dem Doctor,
Bis zuletzt das Weib mit lautem Schelten
Ihn beklagte der verletzten Ehre
Und mit wilden drohenden Gebärden
Sich erbot zum Augenscheinbeweise.
Ei wie warf der angsterschreckte Priester
Plötzlich jetzt den Segen auf das Brautpaar!
Handvollweise, daß der dicke Aufguß
Hätte hingereicht auf lange Jahre
Zu vermählen alle Himmelsbräute.

Also ward der Doppelbund gestiftet.


2.

Viele Jahre waren hingegangen.
Vor der Stadt auf schön gelegnem Hügel,
Frei von jeglichem Geräusch und Nachbar,
Wohnten die Vermählten, froh und selig;
Waren glücklich, hatten keine Kinder.
Aehnlich wie zur Zeit des jungen Brautstands
Gingen sie lustwandeln in den Wäldern,
Arm in Arm und öfters Lipp' auf Lippe.
Und es sprach der Mann zu seinem Weibe:
"Treue Gattin, meines Lebens Sonne!
"Sage mir die ganze volle Wahrheit!
"Welche Meinung hegst du von der Stunde,
"Da du einst mit seelenvollem Lispeln
"Mir gestanden deine heiße Liebe?"

Ihm erwiederte die treue Gattin
Langen Blicks mit inniger Umarmung:
"Das ist meine Meinung holder Gatte:
"Wie die Priester ihre Zeitenmessung
"Rechnen von dem Tage der Erlösung,
"Also zähl' und mess' ich all mein Leben
"Von dem gnadenvollen Augenblicke,
"Da du, Liebster, mir dich anvertrautest.
"Was dahinten liegt ist wüste Wildniß,
"Aber diesseits, - du Geliebter! Edler! -
"Thront ein blauer lichtumglänzter Himmel,
"Ruhend auf gemalten schlanken Säulen,
"Wonnetage sind die schlanken Säulen:
"Jede Stund' ist eine duftge Blume."

Also unter lieblichen Gesprächen,
Arm in Arm und öfters Lipp' auf Lippe
Sogen ewig sie des Daseins Wollust
Wie die Biene saugt den Seim der Blüthe;
Waren glücklich, hatten keine Kinder.

Bis zuletzt auf grauen Regenwolken
Kam der Schlangentag daher geschwommen,
Schlangentag mit grämlichem Gesichte,
Um die Ohren eine mächtge Haube.

An des Schlangentages erstem Morgen
Hob das schöne Weib das linke Beinchen
Blinzelnd und verschlafen aus der Decke;
Fangen wollt' er da das holde Blendwerk,
Aber knurrend stieß sie ihn von dannen.
- Thats mit Unrecht, mußt' es besser leiden! -

An des Schlangentages zweitem Morgen
Tranken schweigend sie den süßen Nectar;
Keines sah dem Andern in die Augen,
Blickten immerwährend durch die Fenster,
Dummen Blickes nach den Regenwolken.
- Hatten Unrecht, konnten Bessres sehen!

An des Schlangentages drittem Morgen
Wußte keins wozu es auf der Welt war,
War ein Sonntag, hatten Beide Kopfweh.
- Besser wären sie im Bett geblieben!

An des Schlangentages Mittagessen
Schien ihm da Ambrosius zu blutig,
Mochte nichts genießen, wie auch immer
Aengstlich ihn ermunterte die Gattin.
- Hätt' es besser dennoch aufgegessen,
Nicht erträgt das Weib verschmähte Kochkunst! -

Aber nach dem Schlangenmittagessen
Zog das Weib sich rückwärts in ihr Zimmer
Und verriegelte mit lautem Weinen
Hurtig eine von den beiden Thüren.
- Hatte Recht, die andre ließ sie offen. -

Als der Mann vernahm das bittre Weinen,
Schlich er leise hinter ihren Spuren
Und mit ernstem, ehrfurchtsvollem Wesen,
Da er in des Zimmers letztem Winkel
Sie entdeckte mit vergrabnem Antlitz
Fiel er auf die Knie und sprach mit Wehmuth:
"Liebste Seele, meines Lebens Wonne
"Laß das Weinen, laß das trübe Schmollen!
"Nicht von innen stammt mein kaltes Wesen,
"Möcht' es ändern, kann es doch nicht ändern.
"'S ist ein Schlangentag, daß Gott ihn strafe."

Heftig schluchzend rief die treue Gattin:
"Laß mich, nicht begehr' ich falschen Trostspruch!
"Liebst mich nicht mehr! Sag' es schlecht und ehrlich!
"Eisig fühl' ich deines Herzens Kälte
"Und begraben ist nun Glück und Hoffnung!
"Hätt' ich Aermste dieses ahnen können
"Damals als mit heilgem Bundeseidschwur
"Du gelobtest ewig gleiche Liebe.
"Aber was heißt Lieb' im Mannesmunde!
"Liebe heißt ihm ein bequemes Lustspiel,
"Das man gern genießt, so lang es neu ist,
"Später aber wird mans überdrüssig.
"Wahre Liebe wohnt im geistgen Wesen,
"Und sie nährt sich von Gedankenaustausch.
"Dieses wollt ihr nimmermehr begreifen!
"Statt mit überlegener Verachtung
"Uns zu gönnen nur ein kindisch Tändeln,
"Würdet besser ihr der treuen Gattin
"Anvertrauen euer innres Leben,
"Was ihr Großes denkt und Hohes sinnet:
"Stolz und dankbar würde sie's empfangen.
"Längst schon hat's mich hart und schwer verwundet
"(Wenn ich schwieg, so spürt' ichs drum nicht minder),
"Daß du immer heimlichen Beginnens
"Etwas wälztest in der tiefsten Seele,
"Einsam, allzudeutlich mir bedeutend,
"Wie ich unwerth sei der edlen Sorge."

Lange schwieg der demuthvolle Gatte,
Sich begnügend ihre Hand zu suchen,
Die sie ihm entzog mit Widerwillen.
Aber als nun immer unaufhörlich
Sie ihn reizte mit geschärftem Vorwurf,
Hob er endlich an und sprach mit Beben:
"Willst du's wissen, wohl ich will dir's sagen!
"Wahrlich, schöner wäre wohl mein Dasein,
"Dürft' ich, was die Seele mir beweget,
"Anvertrauen meiner lieben Gattin!
"Schwer entbehr' ich's und ich miss' es schmerzlich!
"Hab' es auch zu oft erneuten Malen
"Treu versucht mit Muth und frohem Glauben.
"Aber jedes Mal, wenn ich's versuchte,
"Merkt' ich, welch ein ungeheurer Abstand
"Trennt des Mannes und des Weibes Denken:
"War kein ächter Wiederhall zu finden;
"Kurz und abgebrochen gleich wie Holzton
"Klangs entmuthigend aus dir entgegen,
"Und du standest unter meinen Worten
"(Mocht' ich heilgen Schwunges mich ereifern,
"Mocht' ich dichten von den höchsten Dingen)
"Stille zwar mit gut gemeintem Willen,
"Aber mühsam auch und krumm gezwungen,
"Gleich dem Pferdchen, das man rückwärts leitet,
"Oder gleich dem aufgerichten Hündlein,
"Welches heimlich seitwärts schielt mit Blinzeln,
"Froh des viergepföteten Momentchens,
"Da es springen wird auf allen Füßchen;
"Während, wenn die Base von der Stadt kam,
"Vollgepfropft mit nichtigen Geschichten,
"Ei wie tönte da der Geisteraustausch
"Gern und ungezwungen dir von Herzen!
"Ja, dann war dir wohl! da warst du's selber!
"Immer Neues mochtest du erfragen,
"Und am Abend nach dem Basentage
"Warst du schön und jung und neugeboren
"Gleich der Blume, die der Thau gebadet!
"Will dich drum nicht weniger verehren,
"S' ist ein Unglück, s' ist nicht dein Verschulden;
"Aber dieß bedenke wohl und merk' es:
"Alles Kleinliche entfernt den Großen
"Und dem Ganzen widersteht Zerhacktes.
"Darum springe, du geliebte Hindin,
"Im Gedankenwalde, wo dir wohl ist,
"Freuen will ich mich an deiner Unschuld
"Und dich segnen aus gerührter Seele,
"Aber wolle nicht mit Kunst und Heucheln
"Alpwärts steigen auf den Hinterfüßchen."

Lauter wurde nur darob ihr Schluchzen,
Wollt ihm keine Antwort ferner gönnen,
Wie er auch sich immer um sie mühe,
Bis zuletzt er müde ward des Bittens
Und das Haus verließ mit finsterm Unmuth.

Und die Gattin, einsam und verlassen
Weinte heftig eine lange Stunde:
Aber da nun Niemand dessen wahrnahm,
Hielt sie still mit bitterem Gedenken.
Dachte der vergangnen fernen Zeiten,
Rief zurück die längst vergessnen Bilder.

Also denkend kam sie an den Arzt auch,
Ging das Armband holen aus dem Schranke
Und betrachtet' es mit langen Blicken.
Welche Sehnsucht haucht' ihr da entgegen?
Waren Thränen in dem Gold verborgen?
Tiefe Seufzer drangen aus der Brust ihr,
Und sie weint' und sang in ihrem Herzen:
"Dieser," sprach sie, "ob auch roth und häßlich,
"Dieser hat dich wohl geliebt; wer weiß auch,
"Ob er nicht dich konnte glücklich machen?
"Liebe heißt der Gattin Glück, nicht Schönheit."

Und sie drehte seufzend das Geschmeide
Um und um zu wiederholten Malen,
Prüfte sinnend auch ihr eigen Bildniß,
Bis sie endlich mit verstohlnem Finger
Heimlich klaubte an dem Angedenken,
Klaubt' und nagt' und kratzt' und drückte fleißig.
Bis der widerspänstge Deckel aufflog.

Horch! da tönt' ein Wimmern und ein Stöhnen,
Und ein armes Thierchen fein und winzig,
Aehnlich einem tausendfüßgen Käfer
Hüpfte großen Sprunges nach dem Boden,
Theilte sich und mehrte sich mit Wimmeln,
Augenblicklich das Gemach erfüllend;
Liefen schreiend dann hinaus zum Garten,
Und es ward im Nu bedeckt der Garten;
Von dem Garten flohen sie zum Felde,
Und das Feld ward schwarz von ihrer Masse.

Todtenbleich mit angstverzerrten Zügen
Stand das schöne Weib in starrer Ohnmacht,
Immer blickend nach dem grausen Wunder.
Aber als sie nunmehr durch die Fenster
Sah vom Walde nahen ihren Gatten,
Lief sie schreiend nach der großen Straße,
Von der großen Straße nach dem Stadtthor,
Von dem Stadtthor zu dem Bürgermeister.

Jammernd warf sie sich zu seinen Füßen,
Faßte seine Knie und rief mit Stöhnen:
"Bürgermeister, lieber Bürgermeister!
"Ach! ein schrecklich Unglück ist geschehen,
"Ein entsetzlich grauenvolles Unglück!
"Ist durch mich geschehn, die Unglückselge,
"Doch der rothe Arzt hats angestiftet.
"Aber magst mich nunmehr peinlich strafen,
"So mit Folterqualen als mit Galgen,
"Nur errette mich von meinem Gatten,
"Daß ich nicht sein edles Antlitz schaue,
"Wie es stillen Kummers mich verachtet!"

Kaum vermochte sie das Wort zu enden,
Horch da tönte von den vielen Thürmen
Ein gewaltges schauerliches Tosen:
Sturmtrompeten, Glockenruf und Hornen,
Und das Volk mit Heulen und mit Brüllen
Stürzte tobend durch die engen Gassen,
Wuthentbrannt vor Furcht in wildem Aufruhr.

Doch die Rathsherrn mit gewaltger Stimme,
Riefen von den Mauern das Befehlen:
"Faßt euch, liebe Bürger, schaffet Ordnung!
"Faßt euch! Alles ist noch nicht verloren!
"Gebet muthig auf die Weltenlandschaft,
"Aber hundert Schritte vor dem Stadtthor,
"Ziehet einen Graben um die Mauer,
"Tief und breit; und füllet ihn mit Wasser;
"Doch zu beiden Seiten an den Graben,
"Brennt von Reisern ein gewaltges Feuer.
"Also werden wir, mit Gott, entrinnen."

Und die Bürger alle, so die Männer,
Als die zarten Frauen mit den Kindern
Warfen wilden Eifers sich zur Arbeit;
Mannshoch bauten sie den breiten Graben,
Und die Feuer brodelten zum Himmel,
Bis sie endlich allgemeinen Seufzens
Dankten Gott für ihrer Heimath Rettung
Und mit banger, widerwill'ger Neugier
Schauten nach der armen Weltenlandschaft,
Wie sie unabänderlichen Schicksals
Unterlag den Millionen Käfern.
Aber plötzlich dachten sie auf Rache,
Zogen vor das Haus des Bürgermeisters
Und verlangten drohend den Verbrecher.

Doch der Bürgermeister ließ geschehen
Eine kunstgerechte Untersuchung,
Hieß den Arzt ergreifen mit dem Doctor
Und das Armband auch zur Stelle holen.
Auf dem Armband stand des Goldschmieds Name,
Also ward der Goldschmied auch gefangen.

Als nun Alle lagen auf der Folter,
Sprach der Wunderdoctor zu den Henkern:
"Liebe Henker, thut mir den Gefallen:
"Bringet mich zu meinem trauten Manne,
"Daß ich höre seiner Stimme Schreien
"Und an seiner großer Qual mich weide."

Und der Arzt auch flehte zu den Henkern:
"Mögt mich peitschen, mögt mich peinlich drücken,
"Wenn ihr dieses Eine mir versprechet,
"Daß ihrs doppelt meinem Weibe lohnet."

Und die schöne unglückselge Gattin
Weint' und jammerte mit heißen Thränen:
"Recht geschieht mir, daß ich also leide!
"Habs verdient durch meine sündge Neugier,
"Aber daß mein Gatte mich verachtet,
"Dieses kann ich nun und nie verschmerzen."

Doch der Goldschmied schloß gefaßt die Lippen,
Sprach bei sich in seiner tiefsten Seele:
"Unnütz, liebe Henker, ist die Folter,
"Bin ja längst gewohnt der schlimmsten Martern
"Da vom Morgen bis zum andern Morgen
"Immerdar die herrlichste der Frauen
"Mir das Herz zerschnitt mit ihrer Schönheit.
"Aber wenn ich höre die Geliebte
"Schrein und weinen wegen meiner Arbeit,
"Möcht ich selber mir im Busen wühlen
"Und mit Zangen und mit heißen Kohlen
"Mir verschärfen meine großen Qualen."

Und die Richter sprachen dann das Urtheil,
Kluges Urtheil, waren weise Richter,
Bannten jetzt die herrlichste der Frauen
Strengen Bannes in den dunklen Urwald;
Doch den Arzt mitsammt dem Wunderdoctor,
Eingenäht in grobes, schmutzges Sacktuch
Wollten sie ertränken auf dem Markte.

Für den Goldschmied - waren weise Richter -
Ließen einen Galgen sie errichten,
Riesenhoch, den Hauptdom überragend,
Drehbar auch, damit ein jeder Stadttheil
In der Runde schaue das Exempel.
Hießen auch den goldnen Schmuck zerstoßen,
- Habs gesagt ja, waren weise Richter -
Und den Staub zerstreuen in die Wälder.

Und das Urtheil ward getreu vollzogen.
Als der Goldschmied hing am Riesengalgen,
Schüttelt' er die weichen, goldnen Locken,
Redete und rief mit sanfter Wehmuth:
"Habet Dank, gestrenge, gnäd'ge Richter!
"Daß ich leide, will ich nicht beklagen,
"Hab doch immer still und stumm gelitten.
"Aber daß ihr mir vergönnt zu wohnen
"Ueber aller Welt auf freier Warte,
"Wo ich schauen kann die Vielgeliebte,
"Wenn sie wandelt in dem finstern Urwald,
"Deß, ihr lieben gnadenvollen Richter,
"Dessen will ich lauten, heißen Dankes
"Ewig euch gedenken im Gebete."

Als den Arzt man band zu seinem Doctor,
Ei wie kläglich wehrten sich die Beiden!
Fielen auf ihr Angesicht und flehten
Gleichen, doppelstimmigen Gebetes:
"Gnade, meine lieben Richter, Gnade!
"Sind ja alle Sünder! alle strafbar!
"Mögt mit dicken Kröten mich verbinden
"Oder auch mit tollen, krätzgen Hunden,
"Aber einzig nicht mit meinem Gatten!"

Als man dann sie in das Sacktuch nähte,
Nicht von Tigern nicht von giftgen Schlangen
Ward gehört ein Brüllen und ein Zischen,
Wie die beiden Gatten sich begrüßten,
So mit Fäusten als mit spitzen Nägeln,
So mit Beißen als mit Füßestampfen,
Statt der Küsse spien sie sich ins Antlitz.

Aber als man sie ertränken wollte,
Zwängten sie die Köpfe aus den Säcken
Und begannen jetzt mit gellem Bellen
Zu verläumden alles Volk des Himmels,
Jeglichen mit Namen klar bezeichnend,
Zwar der Arzt verleumdete die Männer
Und das Weib die Fraun und schönen Mägdlein.

Vor den grauenhaften Lasterworten
Flüchteten die Bürger von dem Markte;
Nicht die Kutscher, nicht die Feuerwerker
Hielten still der fürchterlichen Schandfluth,
Und die Scheuermägd' und Wäscherinnen
Flohen eiligst in den tiefsten Keller,
Schon war leer der Markt von jedem Leben,
Dennoch schimpften immerfort die Beiden;
Bleich vor Schande schämten sich die Häuser,
Daß die Läden sich von selber schlossen.
Und am nahen Berg die Cathedrale
Wurde roth von schimpflichem Erröthen.

Rathlos lief das Volk zum Bürgermeister:
"Bürgermeister, lieber Bürgermeister,
"Hilf uns aus der großen Noth und Drangsal!
"Nicht die Henker, nicht die Henkersknechte,
"Nicht die Kutscher, nicht die Feuerwerker
"Halten Stand der fürchterlichen Sündfluth.
"Sieh die Häuser leeren sich von Bürgern
"Und die große Stadt wird öd' und einsam."

Ruhig sprach der kluge Bürgermeister:
"Wählet aus der Zahl der Feuerwerker,
"Jene, welche stehen an den Pumpen;
"Von den Miethpferdkutschern lasset kommen,
"Solche, die mit heiligem Gelübde
"Sich verlobt mit kräftgen Wäscherinnen;
"Stopfet ihnen das Gehör mit Watte
"Und verpicht mit Wachs und Werg die Ohren,
"Fest mit dicken Tüchern sie umhüllend.
"Wenn ihr alles dieses wohl besorgt habt,
"Sollen sie den Arzt mit seinem Doctor
"Schleifen nach der steilen Himmelsmauer
"Und sie auswärts hängen nach dem Abgrund,
"Wo das Volk aus Eimern und aus Kesseln
"Sie ertränken mag mit vielem Wasser.

Gerne folgten sie dem guten Rathe.
Und die Kutscher und die Feuerwerker,
Das Gehör verklebt und wohl verbunden,
Schleppten jetzt das Schandpaar nach dem Abgrund,
Wo das Volk mit Wasser sie beschenkte
Und mit Steinen auch und alter Wäsche,
Trotz des Arztes fürchterlichem Brüllen
Und dem wilden Heulen seines Weibes.

Doch die Nachbarn schrieen von den Fenstern
"Lieben Bürger, ists auch recht und billig,
"Daß wir einzig aus dem großen Volke
"Sollen leiden solche schlimme Nachbarn?
"Wenn ihr immer an derselben Stelle
"Toben laßt das schamvergessne Ehpaar,
"Wird die Mauer wanken und erbeben
"Und vor Scham sich flüchten nach dem Abgrund.
"Hört drum, liebe Leute, unsern Vorschlag:
"Möge jeder Bürger nach der Reihe
"Dulden und ertragen dieses Frohnen,
"Weil die Henker, an den Stricken ziehend,
"Vorwärts schleppen die verruchten Aerzte,
"Runden Zuges um den ganzen Himmel."

Ungern ward der Vorschlag angenommen,
Mußten doch der Billigkeit sich beugen,
Und so schleiften sie die schlimmen Doctorn
Jeglichem vors Haus und vor die Mauer.
Aber wo sie immer auch erschienen,
Ward Verdruß und Zank und bittrer Unmuth,
Bis in kurzer Zeit nach wengen Tagen
Ward der Sack mit Jubeln wegbefördert.


3.

Unterdessen schritt die schönste Gattin
Still und traurig zwischen ihren Schergen,
Das Gesicht verhüllt im weißen Schleier,
Doch den Mantel schwarz von Buß und Trauer.

Zögernd schritt sie durch die engen Gassen,
Spähend mit den Augen und den Ohren,
Gleich wie wer vermuthet ein Ereigniß.
Wie nun immer Niemand wollt' erscheinen
Seufzte sie und sprach in ihrer Seele:
"Möchte gern doch wissen, wo mein Gatte
"Jetzt verweilt und ob er mich noch lieb hat.
"Hab ihm vielen Kummer zwar bereitet,
"Schweren Kummer und auch bittre Schande.
"Doch ich habs gebüßt mit schlimmen Leiden
"Und sein Herz ist großgemuth und edel,
"Würd er mich erblicken zwischen Schergen
"Und das Angesicht verhüllt in Demuth.
"Würd' er seines Weibes sich erbarmen
"Und mit hoher großgesinnter Gnade
"Neulings mir gewähren seine Freundschaft.
"Hab ihn selber immerdar geliebt doch.
"S' ist der Schlangentag, der hats verschuldet."
Also seufzend kam sie nach der Brücke.
An der Brücke stand ein niedlich Mägdlein,
Arm und baarfuß, mit zerrissnem Röckchen,
Trug ein duftges Brieflein in den Fingern,
Grüßte hübsch und sprach mit vielen Knixen:
"Bist du wohl die herrlichste der Frauen? -
"Hat ein schöner Herr mir aufgetragen:
""Wenn du siehst die herrlichste der Frauen
""Küß ihr dreimal ihre weißen Hände
""Und das duftge Brieflein überreich ihr.""

Weil das Mägdlein ihr die Hände küßte,
Fragte da die herrlichste der Frauen:
"Armes Mägdlein, du mein zartes Pflänzlein,
"Sag: wie war der schöne Herr zu schauen?
"Sprach er finstern Blicks mit starker Stimme?
"Oder schien er sanft und weich gemüthet?"

Ihr erwiederte das arme Mägdlein:
"Sprach nicht finster, nicht mit starker Stimme,
"Schön und traurig blickt' er mit den Augen,
"Leise konnt' er kaum vor Thränen lispeln."

Nochmals fragte jetzt die schönste Gattin:
"Hat er nicht geküßt dein rothes Mündchen
"Und mit Thränen dein Gesicht gebadet?
"Und was sprach er, während er dich küßte?"

Laut und fröhlich rief das arme Mägdlein:
"Freilich hat er mir geküßt mein Mündchen,
"Drei- und viermal, oder fünf- und zwölfmal,
"Aber weich, und hat mich nicht gebissen.
"Bin zwar naß geworden von den Thränen,
"Doch mir grauste nicht, weil er so schön war.
"Hat auch mancherlei dazu gesprochen,
"Aber nur von dir, und bloß zum Lachen."

Und es schwang die Herrlichste der Frauen
Rasch den Schleier von dem lichten Antlitz,
Nahm das zarte Pflänzlein von der Erde
Und zerküßt es mit verliebten Küssen,
Küßt ihm erstens das Marienmäulchen,
Drei- und viermal oder fünf- und zwölfmal,
Zweitens auch die Augen und die Wangen.

Faßte dann das Brieflein mit den Fingern
Und befahl den mitleidvollen Schergen:
"Liebe Leute, meine wackern Schergen,
"Faßt mich sicher an den beiden Armen,
"Unterstützt mir kräftig auch die Schultern,
"Daß ich nicht erliege vor der Nachricht."

Wollte doch das Brieflein nicht eröffnen,
Sondern drückt' es immer an die Lippen,
Schmeichelt' ihm und sprach mit weichem Girren:
"Grüß dich, Brieflein, du mein süßes Brieflein!
"Grüß dich, Gruß aus meines Liebsten Händen!
"Kannst nicht wehe thun, kannst mich nicht schlagen!

"Siehe, wie ich innig dich zerküsse!
"Wie mein Herze jauchzt vor deinem Anblick!
"Trägst doch meines Liebsten trautes Antlitz!
"Er ist in dir, er wird durch dich sprechen!
"Er, der Edle, Beste, Großgemuthe,
"Der mir niemals wehe that mit Willen.
"Darum hab Erbarmen, strenges Brieflein!
"Wirst mich arme angsterfüllte Seele
"Nicht mit kaltem Dolche niederstoßen!
"Will dirs danken, will dirs köstlich lohnen,
"In dem weißen Busen dich begrabend,
"Und mit ungezählten weichen Küssen
"Stündlich dich an meine Lippen drückend.
"Aber, wenn du, Brieflein, mich vernichtest,
"Ich verzeihe dirs, ich trags ergeben,
"Sollst mir deßhalb doch nicht minder lieb sein,
"Will dir traurig unter tausend Thränen
"Dennoch herzen deine Mörderhändchen,
"Gleich dem Hündlein, das vom Herrn erwürgt wird."

Doch das arme Mägdlein auf der Brücke
Schaute offnen Mundes das Ereigniß,
Weil es emsig kraute unterm Röckchen.
Aber als nun stets die schönste Gattin
Unter leidenschaftlichen Gebärden
Niemals öffnete das duftge Brieflein
Fing es plötzlich lustig an zu lachen
Und entfernte sich mit leichten Sprüngen.
- Endlich las die herrlichste der Frauen,
Las und las mit schwindendem Vernehmen.

Dieses sprach zu ihr das duftge Brieflein:
"Liebe Gattin, du mein eignes Leben!
"Lieb dich noch, trotz meiner schweren Wunde,
"Und mich rührt dein unbarmherzig Unglück.
"Will auch deine That nicht weiter richten,
"'S war ein Schlangentag, daß Gott ihn strafe!
"Kann es dennoch peinlich nur verwinden,
"Daß du Jahre lang mit Heuchlermienen
"Mich belogen um das schlechte Kleinod.
"War ich nicht gerad' und wahr und offen?
"Hab ich alles dir nicht selbst gegeben,
"Was ich immer dachte, daß dichs freue?
"Konntest glücklich sein in alle Zeiten
"Ohne Weibergeiz und -List und -Lüge.
"Doch das ist nun voll und ganz verziehen
"(Ganz verzeihen ist des Mannes Vorrecht),
"Wär ich bei dir würd ich dich umfangen.
"Kann doch Eines nun und niemals ändern:
"Daß aus meinem unglückselgen Hause
"Ist ein ewges unheilbares Leben
"Ausgezogen in die Weltenlandschaft.
"Wo ich immer nur die Blicke wende,
"Liegt es grausig wimmelnd auf den Bergen,
"Wenn ich lausche nach den dunklen Wäldern,
"Hör ichs schreien, hör ichs bitter stöhnen
"Myriadenfältgen Todesschmerzes.

"Nicht ertrüg ichs, käms aus fremdem Hause.
"Aber daß es stammt aus meinem Hause,
"Dessen, meine arme, theure Gattin,
"Dessen muß ich selber mich vernichten.
"Ist's nicht meine Schuld, ist's meine Reue.
"Schilt mich nicht, du kannst mich nicht begreifen,
"Denn der Weiber Pflicht ist eitel Hauspflicht,
"Wenig rührt sie, was geschieht im Weltall.
"Aber laß uns nun nicht Reden spinnen.
"Lebe wohl, du holde, schöne Blume!
"Habe Dank für deine treue Liebe
"Und für all die selgen Himmelsjahre,
"Die du mir beseelt mit deinem Dasein.
"Aber ich in meinen letzten Stunden
"Will dich segnen mit dem Sterbesegen,
"Langen, unausdenklichen Gedankens,
"Daß du milde leidest mit Verklärung."

Als die schöne Frau den Brief gelesen,
Da geschah ein wundersames Wunder:
Aus dem bleichen, trauerschweren Antlitz
Brach hervor ein wunderbarer Lichtglanz,
Wie kein andres Licht erglänzt im Weltall.
Silbern glänzt' es, mild und seeleninnig;
Wer es schaute, den erfaßte Andacht.
Dieses that des Gatten Sterbesegen.

Flüsternd hub sie an zu ihren Schergen:
"Liebe Leute, meine wackren Schergen!
"Helft mir gütig nieder auf die Kniee,
"Daß ich bete für den besten Gatten!"

Mitleidvoll gehorchten da die Schergen,
Unterstützten sie in ihrem Falle.

Und es betete die schönste Gattin,
Auf den Knieen liegend leis und brünstig:
"Großgemuther Gatte, Edler, Guter!
"Sieh, es hat dich schimpflich hingemordet
"Weibergeiz und Weiberlist und -Lüge.
"Sollst jetzt kennen Weiberlieb' und -Treue.
"Einen heilgen wahren Eidschwur schwör' ich:
"Daß von jetzt kein anderer Gedanke
"Jemals wohnen darf in meiner Seele,
"Als das Angedenken deiner Großmuth.
"Will dich mit mir führen, du Geliebter,
"Wenn ich wandle durch den finstern Urwald,
"Mit dir sprechen, wie du selber sprächest,
"Und dich küssen auf den weißen Händen,
"Wo das arme Mägdlein mich geküßt hat.
"Dieses will ich ewigen Geschäftes
"Ueben Tag für Tag mit reiner Andacht."

Und sie warf den Schleier übers Antlitz,
Ließ darauf sich heben von den Knieen.

Aber siehe, selber durch den Schleier
Strahlt ihr Seelenantlitz klar und innig. -
- Führten dann die Schergen sie zur Wildniß,
Wo sie auch den goldnen Sand zerstreuten.

Und es that die herrlichste der Wittwen
Also wie sie heilig sich verschworen:
Betend zog sie durch die stillen Wälder,
Einsam sprechend mit dem todten Gatten,
Oefters auch die eignen Hände küssend,
Wo das arme Mägdlein einst sie küßte.

Doch der Goldschmied unterm fernen Galgen,
Als er sah im Wald die schönste Wittfrau
Schüttelt' er die weichen goldnen Locken!
Mocht' auch immer das entzückte Antlitz
Herwärts drehen, daß der Hals ihn schmerzte
Und das Aug' ihm von der Arbeit roth ward.

Drob ergrimmt' im Zorn die schönste Wittfrau,
Lästig wars ihr, wollt es eifrig meiden.
Darum, wenn sie sah den armen Goldschmied,
Wie er herwärts kehrte mit dem Galgen,
Lief sie eilig nach der andern Seite,
Sich zu bergen hinterm Tannenhügel.
Konnte doch nicht immer ihn vermeiden:
Oefters traf sichs, daß am späten Abend,
Wenn sie vorschnell kam vom Tannendickicht
Noch der Goldschmied herwärts hing am Galgen.
Ei wie glänzte da sein goldnes Haupthaar!
Roth vor Scham erglühten seine Wangen,
Daß der Aether purpurn wiederstrahlte.

Aber selber hinter ihrem Schleier
Ward sie bleich vor Zorn und jähem Unmuth,
That jedoch als hätt sies nicht gesehen,
- Wie ja immer thun die holden Frauen -
Ruhig wandelnd mit gesenktem Antlitz
Bis in kurzer Zeit nach wengen Stunden
Hing der Goldschmied auf der andern Seite
Und sie jetzt mit himmlischer Verklärung
Frei genoß die weihevolle Trauer.


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






Gedicht: Mythus

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Mythus, Carl Spitteler