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Extramundana
162 Bücher



Carl Spitteler
Extramundana . 2. Auflage 1905



Antithema

Und vor seiner Freundin sich verneigend
Fügt' erklärend noch hinzu der Dichter:
Dieses also ist die traute Stimme:
Ist vom Heimathschloß die stolze Freifrau,
Welche ungeacht der andern Kinder
Und des trauten ehelichen Gatten
Hat verlassen die geliebte Heimath
Um zu trauern über unserm Grabe
Und zu wühlen in dem tiefen Sande.
Wird doch ewig nimmer uns befreien,
Uebermächtig ist der Wüstenkönig.

Doch die Freundin mit verklärten Mienen
Eilte unvermuthet zu dem Dichter,
Faßt' ihm dankend seine beiden Hände
Und ergänzte mit erhobner Stimme:
Bis in ferner Zeit am schönen Tage
Wird von ihrem hohen Paradiese
Ziehn die Himmelskönigin Ajescha,
Sitzend über einem weißen Zelter
Stolz von Schritt, und sanft und klug von Herzen.
Selber weißgestalt an Kleid und Körper,
Weiß von fleckenloser Himmelsreinheit,
Daß kein farbig Stäubchen bleibt zu finden
Außer ihren dunklen Veilchenaugen
Und den blumenduftgen goldnen Locken,
Welche rückwärts von dem nackten Scheitel
Fallen, aufgelöst, mit schwerem Falle
Tief hernieder auf den Frühlingsmantel;
Frühlingsmantel licht wie Schnee und Wolken
Doch den Saum verziert mit rothem Bluste.

Durch die schattenlose Wüste zieht sie.
Wo mit hocherhobnen Kniegelenken
Stampft der Huf des gnadenvollen Zelters,
Hüpfen Quellen aus dem todten Sande;
Wo der Frühlingsmantel streift am Boden
Springen von dem Saum die rothen Blüthen
Und bekleiden die entblößte Erde.
Also schreitet sie von Grab zu Grabe
Und von einer bis zur andern Heimath. -
- Jedesmal bei jedem Weltengrabmal
Flüstert sie ein leises Lebenswörtchen.
Kaum vernimmt der Zelter dieses Wörtchen
So ergreift ihn ein gewaltger Zornmuth,
Schnaubend steigt er auf die steilen Wände
Und den weichen Hals zur Erde streckend
Und die Felsen packend mit den Zähnen
Schleudert er die Steine kräftig seitwärts,
Nagt und beißt und scharrt im harten Boden
Bis sich öffnet der verfluchte Kerker
Und das Seelenleben kommt zum Vorschein,
Zitternd zwar, mit angsterfüllten Mienen,
Fürchtend eine neue Weltenmarter.
Doch Ajescha tröstet sie mit Zuspruch,
Lächelt ihnen zu aus Mund und Augen
Und erfaßt sie mit dem weißen Handschuh.
Von dem Trost ist jedes Leid vergessen,
Aus dem Lächeln strömt ein selig Fühlen,
Doch der weiße wunderbare Handschuh
Streift den Körperstaub von jedem Wesen,
Streift auch weg die alten Weltenjahre,
Daß die Seelen jung und schön und rüstig
Springen auf mit dankendem Lobpreisen.
Also wandelt sie von Grab zu Grabe
Und von dieser bis zur andern Heimath,
Kommt auch endlich zu dem schlimmen Kerker,
Wo wir selbst im Lebenssterben liegen.
Ei wie fliegt die Freifrau ihr entgegen!
Ei wie leitet sie das Roß zur Stelle!
Wie der Dachshund, der durch lange Nächte
Sich umsonst gequält am Bau des Fuchses,
Winselnd grüßt die Schaufel seines Meisters
Und mit eifersüchtigen Gebärden
Um die Wette mit ihr scharrt und baggert,
Also bei dem Zelter gräbt die Freifrau,
So beneidet sie die starken Hufe,
Bis zuletzt mit rasendem Gepolter
Stürzt die Kerkerspforte nach dem Thale
Und wir steigen aus der Weltengrube
- Tag der Gnade, Tag des ewgen Glückes! -
In die Arme unsrer treuen Mutter
Ueberdieß zu Füßen der Ajescha.
Gehen dann mit ihnen an die Gränze,
Wo das letzte schlimmste Grab sich ründet,
Wo die Thiere unaufhörlich schreien
Und die Schwalben tragen schwarze Kleider.
Wenn nun auch dieß letzte Grab erbrochen
Ziehn wir rückwärts nach dem Freiherrnschlosse,
Von dem Freiherrnschlosse nach der Altburg,
Von der Altburg nach der Himmelsheimath
Viele hunderttausend Weltenjahre,
Wandelnd zwischen schattgen Blumengärten,
Langen inhaltreichen Liebeszuges,
Kurz der Athem vor zu vielem Glücke,
Ohne Ordnung, ohne Plan noch Gruppe,
Immer Jeder zu dem Andern eilend,
Ihn zu küssen, ihm die Hand zu drücken
Und als seltnes unschätzbares Kleinod
Allen Uebrigen ihn vorzuführen,
Ohne Eifersucht noch Neid noch Mißgunst,
Jeder immer Allen angehörend,
Nach der Blutsverwandten schönem Brauche.

Aber von dem fernen Horizonte
Welch ein dumpfes Brüllen läßt sich hören?
Schwarz von Schatten wird der Himmelshalbkreis
Vor der Sonne fliegt ein rother Mantel.
Ist der Böse, ist der Weltenkönig,
Racheschnaubend kommt er hergeritten
Zu vernichten die verwegne Freischaar,
Welche ob dem fürchterlichen Anblick
Aengstlich schreiend sich zusammendrücken.

Doch die Himmelskönigin Ajescha
Reitet ruhig blickend ihm entgegen.
Welche Waffe rüstet sie zum Kampfe?
Welcher Schild und Helm wird sie beschützen?
Weder Schild noch Helm noch Waffe trägt sie;
Nackt das Lockenhaupt und bloß die Arme
Also rückt sie aus zum letzten Kampfe.
Aber kaum zum sandgen Feld gekommen
Stellt sie kräftig sich zurecht im Bügel
Und die nackten Arme hoch erhebend
Treibt den Sand dem Feinde sie entgegen,
Aehnlich wie der Schäfer treibt die Heerde
Eines Winkes rückwärts von dem Abgrund,
Oder wie mit einem einzgen Handspiel
Stößt sein Volk hinweg der Oberfeldherr.
Und der Sand mit Sausen und mit Heulen
Stürzt gezwungen auf den eignen Fürsten,
Plötzlich ihn empfangend und ihn hemmend
Und mit wildem Wirbeln und mit Kreisen,
Eine fürchterliche Wolkensäule,
Ihn umhüllend sammt dem schwarzen Rosse.
Ei wie tobt und brüllt der Weltenkönig,
Ei wie heftig schlägt sein rother Mantel
Bis nach kurzer Zeit er sinkt vom Pferde.
Und das Pferd auch unterm Himmel stehend
Bebt und zuckt und schaudert mit den Gliedern
Eh es endlich jähen Todesfalles
Eine ungestüme finstre Masse
Rückwärts niederfällt zur tiefen Erde,
Daß der Sand zum Himmelsbogen auffliegt
Und die Sonn' erlischt im dunklen Staube.

Jauchzend grüßt die Freischaar das Ereigniß;
Dieses ist die letzte Schadenfreude.
Ziehen überdieß zur Himmelsheimath
Und zum goldnen Gitter vor den Linden.
Wenn wir kommen zu dem goldnen Gitter
Steigt die Himmelskönigin vom Pferde
Und beginnt mit ihrer süßen Stimme:
"Also ist der schöne Sieg errungen,
"Seid willkommen nun in meinem Hause,
"Aber ehe wir zum Schlosse steigen
"Sollt ihr erst erwarten eure Kinder,
"Die zu eurem Dienst ich herberufen."

Welche Kinder sollen wir erwarten?
Sieh da regt sichs in der weiten Ferne
Köpfe tauchen auf und vieles Fußvolk,
Und in reichen buntgestickten Kleidern
Nahen jetzt die Mägdlein und die Knaben,
Schön und lieblich von Gestalt und Antlitz
Aber bleich mit schuldbeladnen Mienen
Und die Köpfchen hangend auf den Busen.

Sind die Leiden aus dem Weltengrabe
- Nicht die gottverfluchten Leibesleiden
Nicht die Todes- und die Lebenskrämpfe
Fürchterlichen dummen Angedenkens -
Doch die segensvollen Seelenleiden
Jene, die in nächtlicher Erinnrung
Leuchten wie mit goldnen Traumesfarben.
Stummen Mundes flehn sie um Verzeihung,
Lauten Jubels werden sie empfangen
Wie man annimmt Feiertagsgeschenke:
Glücklich wer die meisten nennt sein eigen.
    Und Ajescha öffnet jetzt das Gitter
    Und wir ziehn mit wogenden Gesängen
    Hold umschwirrt von tausend lichten Schwalben
    Froh und selig nach der letzten Heimath. -
    - Komme bald, du liebliche Ajescha!


  Carl Spitteler . 1845 - 1924






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