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Gedichte, Lyrik, Poesie

Blätter im Wind
162 Bücher



Heinrich Seidel
Blätter im Wind . (vermutlich) 2. Auflage 1882



Nymphäa alba

Motiv aus "Immensee" von Th. Storm.

Glänzend duft'ge blaue Mondnacht!
Träumend sitz' ich hier am glatten
Mondbeglänzten See. In tiefem
Schweigen ruht der Wald - nur manchmal
Regt es sich im Rohr - ein Fischlein
Plätschernd aus dem Wasser aufblitzt,
Oder aus dem Waldgrund ferne
Tönt ein Eulenruf herüber.
Eine breite helle Straße
Glänzt der Mond her über's Wasser
Von den dämmerfernen Ufern;
Elfen, sagt man, wandern nächtlich
Diesen Mondweg luftig schwebend.

Schmeichelnd locket mich die laue
Silberklare Fluth zum Bade;
Rasch entkleidet wat' ich über's
Flache Vorland, heimlich schauernd
Vor der eignen weißen Glieder
Glanz im hellen Mondenlichte.
Kühl und schmeichelnd schmiegt die Woge
An den Leib sich; kleine Wellen
Schimmern auf, sowie ich schwimme,
Werfen glänzend weite Ringe,
Machen rings das Schilfrohr flüstern,
Schlagen plätschernd an das Ufer.

Dort um jene Ecke Schilfes
In die dunkle rohrumgebne
Bucht, darin der Bach fließt, schwimm' ich.
Wie aus einem schwarzen Thore
Tritt der Bach dort aus dem Walde.
Rings am Ufer, still und mächtig,
Stehn die Buchen, dunkle Riesen,
Und auf leuchtend hellen Stämmen
Glimmt das Mondlicht aus dem Dunkel.

Glänzend weiße Wasserrosen
Heben sich im Wellenschlage,
Wie ein weißer Arm hervorblinkt,
Wie ein heller Nacken glänzet. -
Und es leuchtet auf im Rohr, und
Flüsternd klingt's wie ein Gewisper
Heimlich leiser Mädchenstimmen
In der glänzend duftgen Mondnacht.
Mich durchschauert die Erinnrung
Grauenhafter Nixensagen,
Wie sie unvorsicht'ge Knaben
Nieder auf den Grund gezogen.
Unwillkürlich rudr' ich rascher
Rückwärtsstrebend in das Freie.
Aber lächelnd meiner Thorheit
Schwamm ich wieder hin auf jene
Weißen Schimmer spottend also:
"Nimmer sollt ihr mich erschrecken
"Fischgeschwänzte weiße Nixen!
"Denn ihr seid nur eine Fabel,
"Hirngespinnste abergläub'gen
"Landvolks, müßiger Poeten!
"Und ihr seid nur weiße Blumen,
"Nixenblum' - Nymphäa alba!
"Also steht's in der Botanik!"
Da umschlingt ein schmeidig Glattes
Plötzlich meinen Fuß - ich sinke!
Wasser saust mir um die Ohren,
Und es blinkt mir vor den Augen.
Hastig rudre ich empor - und
Wirre tiefer mich in schlanke
Schlingen, die mich glatt umwinden.
Doch ich rudre, stoße, trete,
Schlage um mich, strebe vorwärts -
Bis ich endlich, frei geworden,
Bin mit langen hast'gen Zügen
Athemlos an's Land geschwommen.

Lächeln mußt' ich meiner Thorheit,
Als ich wieder auf dem Trocknen,
Auf dem sichren, festen Land war.
Doch ein leiser Wind im Rohre
Machte sanft das Schilf erflüstern,
Daß es klang wie höhnisch Kichern,
Daß es klang im Rohr wie Wispern
Heimlich leiser Mädchenstimmen
In der glänzend duft'gen Mondnacht.


  Heinrich Seidel . 1842 - 1906






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