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Glockenklang
162 Bücher



Hugo Salus
Glockenklang . 1. Auflage 1911



Rabbi Simeon ben Jochai

Nach einer talmudischen Legende

Du großer Rabbi Simeon, wie war dein Herz so glühend!
Du liebtest, wie kein andrer liebt, und haßtest blitzesprühend!

Wer hat sein Volk so heiß geliebt, sein Weiser und Verweiser!
Wer hat die Römer so gehaßt und ihren stolzen Kaiser!
Sei auf der Hut, verbirg dich gut! Der Kaiser streckt die Rechte,
Du bist verkauft, flieh, Simeon! Schon drohen seine Knechte!

Und Simeon mit seinem Sohn entfloh bei Sturm und Dunkel,
Kein Sternlein gab ihm das Geleit mit tröstlichem Gefunkel;
Und von der Erde schwanden sie: wo sind sie hingeschwunden?
Und eine Höhle fanden sie, die nie ein Mensch gefunden.

Zwölf dunkle Jahre fern dem Licht im engen Felsenloche!
Und Fluch war Simeons Gebet, Haß Tag und Fluch die Woche,
Und, lebte er, er lebte nur, des Sohnes Haß zu stärken:
"Ich hab' gehaßt in Worten nur, du hassest einst in Werken!"

Zwölf Jahre lang. Einst in der Nacht, da hört er Flügelschlagen
Und eine Stimme: "Simeon, dir will ich Großes sagen;
Der Kaiser ist gestorben! Auf, du sollst die Botschaft bringen!"
Elia war's, der durch die Welt hinfliegt auf Adlerschwingen.

Da küßte Simeon den Sohn, sie traten aus der Höhle,
Sie traten in die Nacht, und groß stand Gott vor ihrer Seele;
Sie eilten durch die Nacht dahin, zu ihrem Volk zu kommen,
Und sahn von Ferne schon ihr Dorf; der Morgen war erglommen.

Sie stiegen in das Tal hinab, die Sonne stand am Himmel,
Und Feld und Weinberg war belebt von fleißigen Volks Gewimmel.
Schlug Simeon sich an die Stirn: "Mein Gott, bin ich von Sinnen?
Ist dies ein Weinberg? Das ein Feld? Dies Winzer? Schnitterinnen?

Sie singen zu der Arbeit? Sprich! Und binden volle Garben?
Zwölf Jahre haben wir gehaßt, gehaßt in Nacht und Darben;
Sie aber gingen froh aufs Feld, als ob kein Römer lebe,
Und säten froh und heimsten ein und warteten der Rebe!

Weh über uns! Weh über sie! Sie ernteten und säten,
Als gäb' es nicht aus unserm Volk ein Unkraut auszujäten!
Fluch ihrer Arbeit, ihrem Mühn, Fluch meinem feilen Volke,
Und Fluch der Frucht des Bodens! Fluch!" - Da zuckt es aus der Wolke;

Und aus der Wolke eine Hand greift jäh zur Erde nieder,
Umfaßt die Zwei und schleudert sie in ihre Höhle wieder,
Ein Felsblock schloß der Höhle Mund; war wie ein Grab vermauert,
Und in dem Grabe lagen sie, die Seelen tief durchschauert.

Kein Wort floß von den Lippen mehr, kein Fluch aus seinem Munde,
Aus seinen Augen tropft es warm, wie Blut aus roter Wunde.
Ein Jahr ging hin, ein schnelles Jahr. O Simeon im Dunkel,
Was glänzt so mild in deine Nacht, wie reiches Sterngefunkel?

Da traten sie hinaus ins Licht und reichten sich die Hände
Und schritten als ein glücklich Paar durchs blühende Gelände.
Sie sahn die Äcker wieder grün und grün die weiten Lande,
Und froh den Ackersmann sich mühn im heißen Sonnenbrande;

Und sahn den Hirtenknaben ziehn mit seiner wolligen Herde:
Da sanken sie zur Erde hin und küßten lang die Erde.
Sie küßten sie und kosten sie wie einer Mutter Wange,
Denn ihre Seelen waren voll von brausendem Gesange.

Und alles Volk kam hergeströmt auf sonnenhellen Wegen,
Und über sein geliebtes Volk sang Simeon den Segen.


  Hugo Salus . 1866 - 1929






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