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Anna Ritter
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Vision
Welche Fülle der Gesichte
Dringt verwirrend auf mich ein...
Tiefen, die ich scheu gemieden,
Ueberloht ein lichter Schein,
Von den Höhen klingen Stimmen,
Wundersam und doch vertraut,
Und Gestalten nahen grüßend,
Die mein Auge nie geschaut.
Blumen geben ihrer Kelche
Zärtliches Geheimniß preis,
Aus der Sterne stillen Augen
Schlagen Flammen, groß und heiß,
Alles lebt! Die Steine reden,
Aus der Erde Mutterschooß
Ringen sich geheime Quellen
Rauschend, segenspendend, los.
Was in Zweifeln schien verloren,
Findet heim zur tiefen Ruh,
Was verirrt auf dunklen Wegen,
Wandert froh der Heimath zu,
Wunden, die der Haß geschlagen,
Heilt der Liebe sanfte Hand,
Was getrennt war, ist verbunden
Durch ein leuchtend Friedensband.
In den Abgrund der Verzweiflung,
In des Aberglaubens Nacht,
Hat die Sonne der Erkenntniß
Ihren klaren Glanz gebracht,
Aufgelöst zu reiner Wirkung,
Schwebt in heil'ger Melodie,
Jubelnd um den Thron der Gottheit
Nun der Schöpfung Harmonie.
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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