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Anna Ritter
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Unkenschrei
Mißtönig hallt der Unkenruf vom Grunde,
Die Fledermäuse streichen scheu und leis,
Der Nachtwind schleicht sich lüstern um die Mauern,
Und der Jasminbusch duftet süß und heiß.
Das ist die Stunde, da aus grünen Tiefen
Der Sündenengel heimlich aufwärts schwebt
Und mit den schönen, marmorweißen Händen
Den dunklen Schleier sich vom Antlitz hebt.
Was steht er dort und lächelt so verstohlen
Und winkt hinüber nach des Nachbars Haus?
Um Gott, da lehnt die Grethel in der Thüre
Und neigt sich lauschend in die Nacht hinaus.
"Kehr um! Kehr um! Noch hält des Hauses Frieden
Die junge Seele schützend dir umspannt..."
Sie hört mich nicht! Sie steigt die Stufen nieder
Und grüßt die Sünde mit der Kinderhand.
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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