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Anna Ritter
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Sturmfluth
Die Wogenrosse schäumen in's Gebiß
Und bäumen auf, mit angstgeblähten Nüstern
Flieh'n sie an's Land,
Ein Dämon hält die feuerfarb'nen Zügel
In harter Hand.
Wenn er die Peitsche zückt, zerreißt die Nacht,
Und über ihn und seine Rosse taumelt
Ein blauer Schein,
Dann stürzen sich die Möven von den Felsen
Herab und schrei'n.
Am Ufer steht seit langen Stunden schon,
Wahnsinn'ge Angst in den erlosch'nen Blicken,
Des Fischers Weib;
Der Dämon greift in täppischer Liebkosung
Nach ihrem Leib.
Wühlt in der wirren Schönheit ihres Haar's
Und zerrt von ihren schmalen, weißen Schultern
Die Falten fort,
In's Ohr ihr raunend mit der heisern Stimme
Ein dreistes Wort.
Sie hört es nicht! Sie wirft sich auf den Grund
Und reckt die Arme flehend ihm entgegen:
"Mein Mann... mein Mann!"
Dann schreit sie auf, und über ihre Glieder
Geht das Gespann.
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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