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Anna Ritter
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Morgenwanderung
Aus dunklen Thalen, drin die Sorge rauscht,
Lenk ich den Schritt auf vielgewundnen Wegen
Dem ernsten Reich der Einsamkeit entgegen.
Längst blieb des Städtchens muntres Bild zurück,
Die Buchenwälder wichen scheu zur Seite,
Die schlanke Tanne giebt mir das Geleite.
Dann bleibt auch sie und macht den Kiefern Platz,
Armselig Volk, gekrümmt von Sturm und Wettern,
Das kaum den Muth noch hat, empor zu klettern.
Und nun allein! Kein Laut des Lebens mehr
Dringt an mein Ohr, im klaren Morgenscheine
Steh ich allein im Todtenreich der Steine.
Wie groß! Wie still! In Andacht bebt mein Herz,
Denn zu mir nieder in dem heil'gen Schweigen
Fühl ich die Gottheit ihre Stirne neigen.
Und einsam kreist ein Falke hoch im Blau,
Wie eine Seele, die den Staub bezwungen
Und jubelnd sich zur Sonne durchgerungen.
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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