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Anna Ritter
Gedichte
. 1. Auflage 1898
Einem Todten
Wie dunkel ist's! Nur wenn der Sturmgott droben
Sein leuchtend Schwert nach Wolkenriesen zückt,
Erhellt sich mir der Pfad, dann schreit' ich eilend,
Ein Büchlein zitternd an die Brust gedrückt.
Gedichte sind's! Der Sehnsucht irres Stammeln,
Der Schrei der Noth, ein blasser Traum von Glück,
Gedanken, aus der Einsamkeit geboren...
In ihre Heimath trag' ich sie zurück.
Ein Garten lockt im fahlen Licht der Blitze,
Am düstern Thor das Schweigen Wache hält,
Dort opf're ich im Schatten der Cypressen,
Ein Lebender im Bann der Todtenwelt.
Da liegt das Grab! Ein Kreuz ist drauf gebettet,
Die Lippen preß ich auf den kalten Stein
Und suche einen halbverwischten Namen -
Ach der ihn trug, vor Jahren war er mein.
Wie dunkel ist's! Nur von den Lilien windet
Ein seltsam feierlicher Glanz sich los,
Den Epheu bieg' ich schweigend auseinander
Und leg' das Buch in seinen dunk'len Schooß.
Gedichte sind's! Ein Buch wie viele and're,
Mir aber zittert jede Zeile nach,
Gedichte sind's, in banger Zeit gesungen
Von einer Seele, die in Sehnsucht brach.
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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