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Anna Ritter
Befreiung
. 1. Auflage 1900
Telegraphendraht im Walde
Ein bunter Herbstwald, wundervoll getönt
In roth und gelb und grau und violett -
Dahinter Wiesen, friedliches Gelände,
Auf dem der Duft des nahen Abends liegt,
Und eines Bächleins rieselndes Gefälle,
Von Rohr und Binsen ruhevoll umwiegt. -
In diesem Winkel wagt die Zeitenuhr
Zum schnellen Schlag den Pendel nicht zu heben,
Sie sank in Schlaf.
Ein heimlich Klingen nur,
Ein wunderfeines Schwellen und Verschweben
Irrt wie ein Hauch durch die verträumte Flur:
Hoch durch die Lüfte, durch die Gipfel hin,
Zieht sichs wie eine leichte, goldne Spur,
Auf schwankem Drahte läuft das flinke Leben
Im kurzen Röckchen durch die Einsamkeit,
Streut Grüße aus und knospende Gerüchte,
Nickt, lächelt ... und verschwindet ...
Meilenweit
Im flachen Lande blitzts noch einmal auf,
Es sinnt der Wald mit seinen tausend Zweigen
Ihm seufzend nach - dann zieht die Nacht herauf.
Der Winkel sinkt in seine Schweigsamkeit
Gemach zurück, wie wohl ein blühend Kind,
Aus süßem Schlummer jählings aufgestört,
Mit halbem Ohr das Leben rauschen hört,
Um sich im Schlafe wiederum zu neigen. -
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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