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Anna Ritter
Befreiung
. 1. Auflage 1900
Der tolle Spielmann
Ein Klirren von zerbrochnen Fensterscheiben..
Die Hausthür fällt mit dumpfem Schlag ins Schloß,
Zerrißne, angstgequälte Wolken treiben
Hoch über mir in unheimlichem Troß.
Und dort.. auf bäumendem Gespensterpferde -
Was blickt so hohl, was lacht so grauenhaft,
Und reckt den Arm mit drohender Geberde
Und singt ein Lied voll irrer Leidenschaft?
"Hoi...ahoi -
Ich suche die Treu,
Auf lachenden Lippen,
Auf blühenden Wangen,
In zärtlichen Armen -
Ich kann sie nicht fangen!"
Es ist ein scheues Hasten auf den Wegen,
Wem eine Heimath winkt, der schlüpft hinein,
Und die sich nimmer im Gebete regen,
Die Lippen murmeln: Herr, erbarm dich mein!..
Ein Mütterlein hebt prüfend das Gesicht
Zum fahlen Himmel, schlägt ein Kreuz und spricht:
"Behüt uns Gott in Gnaden vor der Nacht -
Johann, der tolle Spielmann, ist erwacht!"
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Ich starre reglos in die Wolkenmassen.
Der dort des Schweigens harte Fessel brach
Und seine Qual hinausschreit in die Lüfte -
Das Echo hallt ihm heimlich grollend nach,
Die dumpfe Sehnsucht Tausender, die waren,
Hängt taumelnd sich an jene Wolkenscharen.
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"Hoi... ahoi -
Verflucht sei die Treu!
Es peitscht mich empor
Aus schmeichelnden Kissen,
Es hat mir die Ruh
Aus der Seele gerissen!
Rosen blühten am Gartenzaun...
Konnten uns Beide nicht satt dran schaun,
Drücken uns heimlich die Hände roth,
Schwuren uns Treue, bis in den Tod. -
Bis in den Tod..
Haha haha -
Stehst ja so blaß und so seltsam da?
Trägst doch ein bräutlich Gewand,
Einen Ring an der Hand!
Was sagst du - er wäre nicht mein..
Ein Andrer sollte dich frein?
Reiße den Kranz von der Stirne - Dirne!..."
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Hörst du den tollen Spielmann in den Lüften?
Das ist der Sturm - mein Herz, was zitterst du?
Bangts dir um deine schwer erkämpfte Ruh,
Regt sichs geheimnisvoll in deinen Grüften,
Stehn deine Todten auf zu dieser Frist?
Besinnst du dich in dieser heißen Stunde,
Daß du noch jung, daß du schon einsam bist...?
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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