Der Tempel der Einsamkeit

Ins Leben lockt mich deiner Liebe Licht,
Ich aber wehre dir mit sanfter Hand,
Denn meine Seele sucht ein andres Land -
Das kennst du nicht!

Dort ist's so still ... du spürst den Athem kaum
Der schnellen Zeit, denn auch sie selber liegt
Vom Arm des Schlafes heimlich eingewiegt,
In tiefem Traum.

Weit draußen rauscht der Thränen bittre Fluth
Und wirft versunkne Schätze auf den Strand -
Doch Keiner bückt sich, keine gierge Hand
Greift nach dem Gut.

Aus einem Hain voll heilger Schweigsamkeit
Steigt eines Tempels marmorschimmernd Dach,
Die Kletterrosen ranken ins Gemach
Der Einsamkeit.

Sie aber kniet vor goldenem Altar
Und schaut verklärt in einer Flamme Licht
Und bringt mit ruhig lächelndem Gesicht
Ihr Herze dar.


  Anna Ritter . 1865 - 1921

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