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Gedichte, Lyrik, Poesie

Befreiung
162 Bücher



Anna Ritter
Befreiung . 1. Auflage 1900


Andacht

Aus der blauen Einsamkeit der Wälder
Tönt verspätet eines Vögleins Lied,
Heimlich flüstert noch das Schilf im Ried,
Und der Wind geht grüßend durch die Felder.
Duftend blüht der Thymian an den Wegen,
Rosen hangen purpurroth am Dorn,
Heimchen zirpen, und das goldne Korn
Neigt die Ähren, schwer vom Erntesegen.

Feierlich ertönt der Bäume Rauschen,
Von des Abends sanftem Hauch geweckt,
Schwanke, weiße Blüthenzweige tauschen
Küsse aus, die sie dem Tag versteckt.
Silberner erklingen nun die Quellen
In der großen, märchentiefen Ruh,
Und der Strom trägt seine breiten Wellen
Träumerisch dem Land der Sehnsucht zu.

Prüfend hebt die Nacht die weichen Schwingen,
Allen, die ein jähes Unheil traf,
Allen Müden nun den heilgen Schlaf,
Des Vergessens süßen Trost zu bringen. -
Meine Seele lauscht dem sanften Walten,
Das geheimnisvoll sich rings entspinnt,
Und die müd von Tagesarbeit sind,
Meine Hände, wollen still sich falten.

Um mich her erklingts von leisen Schritten,
Und an mir vorüber wallt der Zug
Derer, die gelebt, geliebt, gelitten,
Bis der Tod sie zur Vollendung trug.
Auf den Stirnen noch die Spur der Leiden,
In den Augen schon des Sieges Licht,
Seh ich sie an mir vorüber gleiten,
Gottesglanz im irdischen Gesicht.

Aus dem Thal, in dem die Schatten dunkeln,
Heb auch ich den bangen Blick empor
Zu den Höhen, wo in selgem Chor,
Schmerzentrückt des Himmels Sterne funkeln.
Und im Anblick jener ewgen Größe
Sinkt, was mich gebunden hielt, zurück,
Bis ich ganz von Erdenleid und Glück
Meine andachtsvolle Seele löse.


  Anna Ritter . 1865 - 1921






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