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Joachim Ringelnatz 
 
103
Gedichte . 1. Auflage 1933 
 
 
 
Das Mädchen mit dem Muttermal 
Woher sie kam, wohin sie ging, 
Das hab' ich nie erfahren. 
Sie war ein namenloses Ding 
Von etwa achtzehn Jahren. 
Sie küßte selten ungestüm. 
Dann duftete es wie Parfüm 
Aus ihren keuschen Haaren. 
 
Wir spielten nur, wir scherzten nur; 
Wir haben nie gesündigt. 
Sie leistete mir jeden Schwur 
Und floh dann ungekündigt, 
Entfloh mit meiner goldnen Uhr 
Am selben Tag, da ich erfuhr, 
Man habe mich entmündigt. 
 
Verschwunden war mein Siegelring 
Beim Spielen oder Scherzen. 
Sie war ein zarter Schmetterling. 
Ich werde nie verschmerzen, 
Wie vieles Goldene sie stahl, 
Das Mädchen mit dem Muttermal 
Zwei Handbreit unterm Herzen.
 
 
 
 
Joachim
Ringelnatz . 1883 - 1934 
 
 
  
 
 
 
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