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Rudolf Presber
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in vita . 1. Auflage 1902
Mein Schädel
In einem Menschenalter bin ich tot.
Das ist der Welt und meines Seins Gebot.
Ich hadre nicht. Vom Born der Lust geflossen
Ist mir ein reiner, reicher, schöner Strahl.
Ich habe viel am Lebenstisch genossen
Und setzt' mit edlen Gästen mich zum Mahl.
Und liebe Hände gossen süßen Wein
In der Erinn'rung gold'ne Schalen ein.
Und das Gesindel ließ ich mich bedienen
Und fand Humor in seinen Schelmenmienen.
Und daß ich bald in kalter, schwarzer Erde
Als Dünger künft'ger Saaten modern werde,
Das schreckt mich nicht. Was noch von mir geblieben,
Kann besser nicht die Mutter Erde lieben,
Als in des Ackers rohgepflügten Krumen
Die Speise sein den Wurzeln ihrer Blumen.
Nur ein Gedanke, wüst und schauerlich,
Erschreckt und ängstigt und erschüttert mich:
Daß mir der Würmer ekelhafte Brut
Ins Auge kriecht und in dem Schädel ruht,
Und frißt und schleimt und buhlt und übernachtet
Im Hirn, das alles Kriechende verachtet,
Im Hirn, in dem jetzt Wille, Wunsch und Wort
In weißer Wände engem Kerker dorrt.
Ich wollt', ein Freund, bevor er mir ins Grab
Drei Schaufeln gösse, trauernd, doch gelassen,
Sägt' meines Schädels weiße Rinde ab
Und ließ' den Rand in spiegelnd Silber fassen.
Die Schale, die einst Leid und Glück umspannt'
Und heute will den edlen Dienst verlieren,
Ließ' er von eines Goldschmieds kund'ger Hand
Zum Becher formen und mit Kunst verzieren.
Und eine junge Hand der andern gibt
Den Becher, der einst heißes Leben faßte.
Enkel der Frau'n, die ich im Lenz geliebt,
Der Männer Enkel, die ich reifend haßte,
Sie sollten all' mit frohem Augenblinken
Aus meinem Schädel sich Genesung trinken...
Und wie die Muschel noch des Meers Getön
Im Herzen trägt, so sollt' er leis und schön
Den Trinkern all, die ihn mit Andacht heben,
Von längst verrauschten Zeiten Kunde geben!
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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