Die Schiefertafel

Wie hat berührt die Kunde mich so eigen:
Auch sie besiegt im Kampfe der Kultur!
Man wird sie künftig unsern Enkeln zeigen
Im Schrank der städtischen Museen nur.

Bei Spinnrad, Feuerschlössern, alten Truhen,
Auf stillem Plätzchen, wie es ihr gebührt,
Wird sie, verstaubt, ein schwarzes Untier, ruhen,
Das nie ein Kinderhändchen mehr berührt ...

Wie rasch zertritt die Zeit, was du besessen,
Dein alt Gerät und alten guten Brauch.
Die Tafeln Mosis hat sie fast vergessen:
Die Schiefertafeln - die vergißt sie auch!

Ich seh' mich noch in hellen Kindertagen
- Ein Hosenmatz - durch Schnee und schmelzend Eis
Im Seehundsranzen dieses Kleinod tragen,
Das engbeschriebene, meinen Stolz und Fleiß.

Und wenn's zu Prügeln kam in den Prom'naden -
Die Tafel erst in Sicherheit gebracht!
Den Schnee geballt - die Mütze mit beladen -
Und wild und hitzig in die Bubenschlacht!

Dann auf der Schulbank, wenn den roten Bahnen
Der Griffel folgend Zeil' an Zeile schließt -
Nicht stolzer glänzt das Auge des Brahmanen,
Wenn er die Weisheit seiner Vedas liest.

Und was dem kleinen Künstler widerstrebte,
Ein Strich des Schwämmchens nur, und es erlischt.
Ach, hätt' sich später, was ich schrieb und lebte,
Nur manchmal auch so lustig ausgewischt!

Das aber blieb! Es schrieben Welt und Frauen
Viel in mein Herz; und manches war auch klug.
Doch will ich recht in Lenz und Sonne schauen,
Denk' ich der Zeit, da ich die Tafel trug.

Denk' ich der fernen Zeit, da noch von lieben,
Schon längst geschloss'nen Augen still bewacht,
Auf schwarzen Schiefer meine Hand geschrieben:
"Der liebe Gott hat alles gut gemacht ..."

Nun weist der ew'ge Fortschritt der Verbannten
Ein öd' Gefängnis, das sie nie durchbricht.
Und jenen Satz, der einst darauf gestanden,
Ich such' ihn zweifelnd ... und ich find' ihn nicht ...


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

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